Montag, 31. Januar 2011

Weltenwechsel

Das Wochenende intensiv in ihr verbracht - der Musikwelt. Klänge zelebriert, das innere und das äußere Haus voller Musik gelebt.

Am Sonntagabend daran erinnert, dass es die ja auch noch gibt - die Schulwelt. Mühsam hineinbegeben.

Im Traum durchgewandelt, oder eher: durchgewatet - durch Beziehungswelten. Träume sind oft wahr.

Beim Frühstücksritual mit müden Kindern, müden Erwachsenen ist sie über mich hereingebrochen - die Alltagsfamilienwelt. Montagmorgen.

Siebenuhrfünfundvierzig habe ich dort angekommen zu sein - in der Schulwelt. Klingelzeichen - bumm. Schwerstarbeit - was haben wir noch gleich letzte Woche in der 8b gemacht? - wie fasse ich jetzt hier wieder Fuß? - wie präsentiere ich mich halbwegs wach? - wie bekomme ich sie aufgeweckt, die 34 dort auf den Bänken?

In der Freistunde hineinfallen lassen - in die Lesewelt. Ganz weit weg, ganz dort zwischen den Buchstaben gewesen.

Kollegengetöse, -gelache, -gespreche, -gesorge - im Minutentakt eingetaucht in fremde Wochenendwelten, Beziehungswelten, Schulsorgenwelten, Unterrichtsproblemwelten - die Schulflurwelt, ein Sammelsurium von allem. Vieles davon in mich aufgenommen, manches ganz tief hinein.

Eine krebskranke Kollegin wiederbegrüßt - nach einjährigem Rückzug heute den ersten Tag wieder da. Ein Jahr lang wollte sie keinen Kontakt zu irgendjemandem von uns. Heute hat sie jedes "schön, dass du wieder da bist" im Gespräch aufgegriffen. - Die wirkliche Lebens-Sterbenswelt, hier auf dem Schulflur. Zu Gast, hätte ich beinah gesagt. Alles andere verliert an Belang.

Und doch wieder nicht - Tränen, Kummer, Zeugnissorgen - Schülerbauchschmerzwelten. Mindestens ebenso von Belang.

Schulschluss, ab nach Hause. Sie wartet schon auf mich vor dem Schultor - die Alltagsfamilienwelt ...


Ich weiß gar nicht: War das schon immer so?
So viel? So dicht? So konträr? So überfordernd? So nahtlos aneinandergereiht? So verwirbelt? So vereinnahmend? So pausenlos? So abrupt wechselnd? So zwischenraumlose Weltenwechsel?

So wenig Raum lassend für MICH?
Oder BIN ich all diese Welten?
Oder kann ich sie so um mich herumgruppieren, dass ICH im Zentrum bleibe, dass dieser Platz nicht von irgendeiner der Welten vereinnahmt wird?
Ich weiß nicht. Heute ist es besonders arg.


Und wohin ist überhaupt die Musikwelt in mir verschwunden???
Vor wenigen Stunden war sie doch noch da???
Ich gehe jetzt suchen nach ihr, in mir ...

Donnerstag, 27. Januar 2011

Von Fernsehkindern, oder wie soll man sie nennen?

"Wie lange sieht Ihr Kind durchschnittlich pro Tag Fernsehsendungen, Videofilme, DVD bzw. wie viel Zeit verbringt es am Computer?", lautet die Frage im Elternfragebogen zur "Einschulungsuntersuchung (Basisuntersuchung Schritt 1)" hier im "Ländle" für alle Kinder, die in anderthalb Jahren in die Schule kommen sollen.
Als Ankreuzmöglichkeiten stehen zur Wahl: Gar nicht - etwa 30 Minuten/Tag - etwa 1 bis 2 Stunden/Tag - etwa 3 bis 4 Stunden/Tag - mehr als 4 Stunden/Tag.
Weitere Frage: "Steht ein Fernsehgerät im Kinderzimmer?"

Am Ende des Bogens werden die Eltern in einer Einverständniserklärung um Kreuzchen und Unterschrift gebeten, ob sie einverstanden sind, dass der Schularzt / die Schulärztin zu schulrelevanten Fragen und bei festgestelltem Förderbedarf Kontakt mit der betreuenden Einrichtung / dem Kinderarzt / der Kooperationslehrkraft / ggf. den therapeutischen Einrichtungen aufnimmt.
Ich finde ja, es fehlt ein entscheidender Punkt und ein Kreuzchen: Nämlich, ob die Eltern einverstanden sind, dass der Schularzt / die Schulärztin eigenhändig ins Kinderzimmer kommt, den Fernseher ausschaltet und dann herausträgt :(
Damit wäre den Kindern, deren Eltern das Kreuzchen ans rechte Ende der Skala setzen (wenn sie es denn überhaupt und ehrlich setzen), vermutlich am meisten geholfen. Dann könnte man sich vielleicht alle anderen therapeutischen und Fördermaßnahmen sparen.

Grundsätzlich stehe ich ja solch verordneten Untersuchungen und Nivellierungen der Kinder in  "Normskalen" und den zuweilen recht dilettantischen Kommentaren von Amtsärzten (bei mir und den Kindern so manches erlebt) recht skeptisch gegenüber. Aber hier wäre doch mal ein echter Wirkungsbereich für ein solches Amt - finde ich.
Bloß: das geht ja leider nicht in der Praxis.

Ich erinnere mich, vor Jahren in einer Studie gelesen zu haben, dass Deutschlands Vorschulkinder im Durchschnitt 3 (oder waren es noch mehr?) Stunden täglich fernschauen. Und da sind die schon eingerechnet, die extrem wenig schauen. Außerdem ist davon auszugehen, dass die auf Umfragen beruhenden Zahlen möglicherweise noch tiefgestapelt sind. Nicht auszumalen also, was sich in manchen Kinderzimmern abspielt. Nicht umsonst reicht die Skala in dem Fragebogen so weit nach rechts.

Da schockiert es eigentlich überhaupt nicht mehr, was Grundschullehrer von ihrer Arbeit erzählen. Selbst hier auf der Insel der Seligen: wohlhabendes Südwestdeutschland, ländlicher Raum, "heile Welt" also, selbst hier sitze ich immer mit offenem Mund in unseren Kooperationstreffen Grundschule-Gymnasium und glaube es nicht. Dass sie manchen Kindern erst beibringen müssen, wie man mit einer Schere schneidet (und dass man damit nicht dem Nachbarn ins Bein sticht), dass sie zuweilen Kindern (aus eigener Tasche) einen Wecker kaufen, damit diese überhaupt die Chance haben, pünktlich in der Schule zu erscheinen ... und das sind noch die harmloseren Punkte.
Ich möchte gar nicht wissen, was aus Großstadtbrennpunktgrundschulen zu berichten wäre.
Doch ja, natürlich schockiert es. (Ich lese gerade meinen obigen Satz.) Aber es überrascht nicht mehr. Oder es überrascht zumindest weniger. Denn es ist ja nicht nur der Fernsehkonsum, der auf diese Kinder einströmt. Es sind ja vermutlich noch viele, viele Dinge mehr ...

Seit diesem Schuljahr ist unser Gymnasium offene Ganztagsschule. Das heißt, dass wir - auf freiwilliger Basis - für die Klassenstufen 5 bis 7 eine durchgängige Nachmittagsbetreuung anbieten: mit Arbeitsgemeinschaften, Förderunterricht und Hausaufgabenbetreuung. Für mehr, für Ausruh- und Lesezeiten, für Spiele und für ruhiges Beieinandersein der Kinder haben wir leider weder geeignete Räume noch Geld noch Ausstattung. Alles findet in kargen ungemütlichen Schulräumen statt. Doch auch so schon wird das Angebot von sehr vielen Kindern wahrgenommen: fast ein Drittel dieser Jahrgänge. Obwohl wir erst damit starteten und es sich noch etablieren muss.

Die Hausaufgabenbetreuung leiten zumeist unsere Oberstufenschüler, die sich damit nicht nur etwas Geld dazuverdienen, die nicht nur in der ihnen übertragenen Verantwortung aufgehen, sondern die auch oft ein sehr liebevolles Vertrauensverhältnis zu den jüngeren Schülern entwickeln. Viel besser als wir Lehrer das könnten.
Und daher erzählen die Kinder ihnen so manches, plaudern unbekümmert von zu Hause. Da wird klar, warum sie sich auch nachmittags in der Schule wohlfühlen. Manche Kinder wollen am liebsten gar nicht nach Hause. Dort sei eh niemand, nur der Computer, und Mittagessen gäbe es nicht, und keiner, der ihnen bei den Hausaufgaben hilft. Oder es ist jemand da, aber der Fernseher laufe die ganze Zeit, keine Ruhe zum Lernen oder Lesen. Erstaunlich reflektiert erkennen sie, woran es liegt, dass sie nicht zu ihren Hausaufgaben kommen, dass sie ihre Tage "vertrödeln", ja sogar, dass sie vom Computer abhängig sind. So formulieren es die Kinder.

Bei manchen Kindern erleben wir Lehrer schon nach wenigen Wochen ein Aufblühen in der Schule, bessere Selbstorganisation, bessere Noten, zuweilen wirkt ein Kind wie befreit - von so ein bisschen Betreuung am Nachmittag.
Mittlerweile "verordnen" wir manchen Kindern die Teilnahme - da sind so viele, denen es gut tun würde, wenn sich jemand um sie kümmerte, jemand, der zuhört, was auf der Seele brennt, und der liebevoll-zugewendet hilft und nicht locker lässt, wenn Aufgaben zu erledigen sind. Aber es ist ja klar: lang nicht alle Eltern, die von uns diese dringende Empfehlung bekommen, melden ihr Kind an.

Oft denke ich über solche Kinder nach, ich erlebe sie ja täglich im Unterricht. Dass das nur die gymnasiale Spitze vom Eisberg ist, dessen bin ich mir bewusst. Was sich an Hauptschulen abspielt, kenne ich eigentlich nur aus der Zeitung (und aus dem Blog von Frau Freitag).
(Hier ist die richtige Gelegenheit, mal deutlich zu sagen: Ich ziehe tausendfach meinen Hut vor allen Grundschullehrern und vor Hauptschullehrern sowieso - DAS könnte ich nie, DAS was deren Arbeit ausmacht, kann ich mir nicht mal im (Alp)Traum vorstellen.)
Ja, wenn ich darüber nachdenke, könnte ich glatt zur Verfechterin von Ganztagesschul- und  Kindergartenbesuchspflicht werden, möglichst ab frühem Alter. Auch wenn man damit ein paar Kinder "treffen" würde, in deren Elternhaus ohnehin mit Scheren und Weckern gearbeitet wird, und mit Zuwendung sowieso, die am Nachmittag also auch zu Hause ganz gut behütet sind. Eine Pflicht ist immer umstritten, aber gerechter wäre es allemal für all die Kleinen, die da unter so schwierigen Lebensbedingungen heranwachsen ...

Mittwoch, 26. Januar 2011

Zwischen den Noten

In den letzten Tagen habe ich Hunderte von Noten "gemacht" - das ist um diese Zeit im Jahr ja immer so. Seit gestern sind sie alle abgegeben, eingetragen, fertig.
Nun zieht es mich zu den musikalischen Noten, den neugewonnenen. Erstmals seit Jahren singe ich wieder im Chor, erstmals überhaupt im Leben nehme ich Klavierunterricht (das ist so etwas wie mein Lebenstraum).
(Warum ich so lange weg von der Musik war, so lange gebraucht habe, wieder hinzufinden, das ist eine andere Frage, für ein anderes Mal.)

Doch irgendwie bin ich gerade dazwischen, zwischen den Noten sozusagen. Nicht mehr dort, noch nicht hier.

Ein riesiges Ausruhbedürfnis in mir ...


... und ich wünschte, ich könnte mich so ruhig niederlassen wie dieser hier:



Allein, die Ruhe will sich nicht zu mir gesellen. Der Schreibtisch ist und bleibt voll.

Und dann sind da heute noch zwei fiebernde Kinder zu Hause - so stellt man sich seinen freien Tag ja nicht vor :( Doch nein, ich will nicht unzufrieden sein. Sie sind in ihrem Kranksein ja wirklich lieb und lieblich:
Die Tochter erinnert selbstständig an Medikamenteneinnahme, Spuckschüsselbereitstellung und Kindergartenanrufnotwendigkeit, spricht sich selbst gut  zu: "Wenn ich weine, tut mein Kopf so weh. Also weine ich halt lieber weniger ..." und den Rest der Zeit schläft sie.
Der Sohn - schon auf dem Weg der Besserung und damit der Langeweile - vertreibt sich und mir die langen Morgenstunden, indem er unsere Auto-Betriebsanleitung liest und vor sich hinstaunt:
"Boah, da ist ne richtige Anleitung zum Autofahren drin."
(Er studiert die ersten Seiten gründlichst, wie um sich alles gut zu merken.)
"Bloß am Anfang, das haben die nicht gut erklärt. Die haben völlig vergessen zu schreiben, wo das Gaspedal ist und wo die Bremse, und wie man das macht beim Fahren mit den Füßen - also das ist nicht gut beschrieben in dem Buch."
(Ich grinse vor mich hin.)
"Mama, wusstest Du, dass unser Auto einen Bordcomputer hat???"
(Er stellt sich da wohl etwas anderes drunter vor, schaut schon ganz vorfreudig in Erwartung künftiger Computerspielfreuden beim Autofahren. Ich muss seine Vorfreude leider dämpfen :))
"Aber manches ist auch total blöd. Zum Beispiel so ein Regensensor, der allein die Scheiben hochmacht, wenn es regnet - nee, das find ich blöd, man will doch auch mal bei Regen rausgucken."
(Ich kann ihn beruhigen, dass unser Auto nicht so ein fortgeschrittenes Modell ist.)
"Am lustigsten finde ich das Kapitel "Sicherheit". Hör mal zu, Mama ...."
(Und dann liest er mir vor, welche Positionen - z.B. Füße aus dem Fenster gestreckt - und Aufenthaltsbereiche des Autos - z.B. der Fußraum - für Fahrer und Mitfahrer dringend NICHT empfohlen werden. Er lacht sich schlapp beim Lesen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass die heutige Lektüre ihn zu so manch originellen Aktivitäten bei den nächsten Autofahrten inspiriert haben wird :))

Jedenfalls, sollte ich mal wieder nicht wissen, wie ich den Heckscheibenwischer an- und das lilapinke Lämpchen im Cockpit ausgeschaltet bekomme, kann ich künftig ja den sachkundigen Sohn konsultieren :) Wozu ein Krankheitstag so nützlich sein kann ...

***

Spätnachts:
Nun lese ich mein Geschreibsel gerade noch einmal durch und stelle fest: Ein Tag zwischen den Noten ist offenbar auch ein Tag zwischen allen Gedanken. Zwischen allen sinnvoll geformten jedenfalls. Die einen nicht mehr in mir, die anderen noch nicht - oder so.
Nun, ich veröffentliche das jetzt trotzdem: Gedankenfetzen-Potpourri, meinem heutigen Tag entsprechend ...

Dienstag, 25. Januar 2011

Anknüpfungsfaden

Zufällig traf ich gestern auf sie, die Eva Strittmatter.

Da sehe ich ihre Bücher noch auf meinem Nachttisch liegen. Weiß noch, wann ich zuletzt in ihnen gelesen hatte.
Dann bebte die Erde - im Außen, im Innen. Alles war plötzlich neu. Ich begab mich auf die schmerzhafte Suche nach dem Wesentlichen. Ballast durfte nicht mit. Und so wanderten die Bücher - zusammen mit so manchem, was sich damals im Zimmer befand - in eine Kiste.
Später fanden sie wieder ihren Platz im Regal. Ohne dass ich sie näher anschaute, stellte ich sie hinein. Ohne dass ich eine einzige Zeile in ihnen las, seit damals.

Bis gestern.
Wohin werde ich hier geführt?

Ich lese im Klappentext des Buches, welches damals obenauf lag - "Mai in Piestany":
"... Gekannt werden, wie man wirklich ist, sich selbst bekennen, wie man sich wandelt - man ist ja nicht, man wird durchschnitten von Lebenslinien, ist ausgeteilt an Fremdes viel mehr als an Eigenes, spürt immer mehr, daß es das Ich als Konstante nicht gibt ..."

... dass es das Ich als Konstante nicht gibt ...
Gestoßen in die Begegnung mit dem Ich meines Damals ...
... wie man sich wandelt - man ist ja nicht ...
Anzuknüpfen mit Fäden, die erst noch zu weben sind ...
... dass es das Ich als Konstante nicht gibt ...

Ein Faden ist schnell gewebt: Ich lege die Bücher wieder auf den Nachttisch, dorthin, von wo ich sie vor vielen Jahren wegnahm.
Und nun werde ich lesen ...

Donnerstag, 20. Januar 2011

Ebbe und Flut

Als ich am ersten Morgen meiner Reise das Meer begrüßen ging, war Ebbe. Als ich mich am letzten Tag von ihm verabschiedete, war Flut. Erst da sah ich, was all die Tage mich hatten lehren wollen:
Die Ebbe offenbart mehr als die Flut.

Der offene Meeresboden ist Spiegel ...



... ist Himmelsecho ...


... wellendurchwoben ...



... nährt er ...




... ja, lebt in allen seinen Dimensionen.



Das Flutwasser dagegen scheint undurchsichtig ...



... es bedrängt ...


... und überfährt ...


... und überfrachtet zuweilen ...





In mir spüre ich einen inneren Abstand zu den Fluten. Dieses Bewusstwerden trifft mich an einer weiß-nicht-wo-Stelle, die ich nicht kannte bisher.

Sinne über meine Lebensfluten und meine Lebensebbe nach, über ihr Gegen- und ihr Miteinandersein.
Braucht es das Wasser der Flut, die Schätze ans Ufer zu schwemmen,
braucht es den Rückzug der Ebbe, sie offenbar werden zu lassen,
braucht es ihr Wechselspiel, um Leben genannt zu werden ...






Lebte ich am Meer, wieviel gäbe es dem steten Wechsel von Ebbe und Flut abzuschauen, wieviel zu lernen von ihnen ...

Dienstag, 18. Januar 2011

... was Du aus dem machst ...

Konnte ich beim Blättern in jenem Buch überhaupt nicht übersehen:

"Dein Leben hängt davon ab, was Du aus dem machst, was aus Dir gemacht worden ist."
 (Jean Paul Sartre)

Und im Kleinen ist es ebenso wahr.
Heute Morgen zum Beispiel.
Ich hätte mich grämen können, dass ich in den vergangenen Tagen nicht schnell, nicht diszipliniert genug war, die Klausur nicht rechtzeitig fertiggestellt hatte. So dass ich eigens dafür in die Schule musste, an meinem freien Tag. Nur um sie hinzubringen, um kurz vor Acht.
Aber ich habe mich nicht gegrämt. Sondern einen Flusswiesenspaziergang daraus gemacht - von der Schule zurück in unser Dorf.
Hochwasserreste gesehen.
Den Himmel im Spiegel,
und als Hintergrund von allem,
und als wärmende Decke.
Und noch viel mehr
...

Mein Leben hängt davon ab, was ich aus all dem mache ...



































Sonntag, 16. Januar 2011

Von der Langsamkeit

Ich habe sie aus dem Friesischen mitgebracht. Dort begegnete sie mir allerorten.

Das Gespräch mit dem Busfahrer - ein jeder Satz aus seinem Munde unerwartet, denn stets meinte man, das Gespräch sei schon beendet gewesen. Diese Art des langsamen Vorwärtstastens in Fragen und Antworten macht mich wach, lenkt meine Sinne auf das Umgebende, in das unser Gespräch eingebettet ist. Auf das Umgebende, welches in uns wohnt.

Gemächliche Abläufe im Ort, auf der Straße, bei Begegnungen - ich verlangsame unwillkürlich meine Schritte, alle meine Bewegungen. Und als ich nach diesen ruhigen Tagen auf der Rückfahrt in der Bahnhofshalle einer großen Stadt stehe, fassungslos dem Treiben zuschaue, fühle ich mich wie in einem Zeitrafferfilm. Vermutlich mit offenem Mund stehe ich inmitten der kreuz und quer vorbeirasenden Menschen. Ihr Tempo ist nicht mehr meines.

Meine gleichförmigen Schritte auf schnurgeraden Wegen, auf den Deichen, in einer Landschaft, die ein Auf und Ab nicht kennt - das Ziel schon Stunden vorher am Horizont sichtbar, ist Verirren unmöglich. Die Kulisse verändert sich kaum je, wechselt ihre Gestalt in einer Langsamkeit, dass es mir als Bergwelt-Gewohnte den Atem nimmt. Meine Gedanken fügen sich ins Ebene ein, auch sie hören auf zu rasen und zu springen, beginnen ruhig und gleichmäßig durch mich hindurch zu strömen.

Mein übliches stunden- und minutengetaktetes Alltagsleben scheint ausgehebelt - ich lerne: eine jede Zeittaktung ist bestimmt von Ebbe und Flut, das Leben zieht in großzügigeren Rhythmen seine Bahnen, und ich beginne in diesem kontinuierlichen, ungetakteten Zeitmaß mitzuatmen.
Das ist heilsam, das fühlt sich wie ein einziges Fließen an - wo sonst Minuten zu Stunden zu Tagen sich fügen, ja: fügen, mit Fugen, über die zu stolpern ist, wo sonst die Zeit durch mich hindurch ruckelt, wo ich Minuten festzuhalten und aus ihrem großen Fluss herauszureißen versuche - da fließt es nun. Fließt zusammen zu einem einzigen seienden Strom.

Fast will es mich erstaunen, als mir eine Uhr über den Weg läuft.


Und kurz darauf diese.
(Nein, ich hatte kein Sehnsucht nach meinem Computer - nein, meinen Virenscanner hätte man mir hier nicht unbedingt vor Augen führen müssen, um Heimatgefühle zu erzeugen :))


Stimmiger schon liest sich das ...
("Gott schuf die Zeit, von Eile hat er nichts gesagt.")


... und das:



Leben im Legato statt im Staccato. Ja, so empfinde ich es. Und begebe mich mitten hinein ...


Meine Zeitempfindung ist ver-rückt - seit jener Woche.
War es mir dort anfangs ungewohnt, fiel es mir arg schwer, mich auf unregelmäßige Fähren, Busse, Briefkastenleerungen einzulassen, so bin ich nun umgekehrt nicht mehr in der Lage, hier in das "übliche" Tempo zurückzukehren.

Ist nicht Langsamkeit meine wirkliche Lebensgeschwindigkeit? Ist das nicht die Geschwindigkeit, in der berührende Wunder und erschütternde Eruptionen, welche sich in mir derzeit kreuzen und auf seltsam stimmige Weise miteinander verschmelzen, gelebt und durchwandert werden wollen?
Da braucht es keine Abwechslung, keinen Takt, keinen ständigen Kulissenwechsel - da wäre es für Stunden und Tage genug und mehr als genug, in immer nur derselben Ergriffenheit zu leben, sich ihr hinzugeben.

Wäre, ja, wäre ...

Und was mache ich mit dem Alltagsleben, den Schuldingen vor allem, die Zeitaufschub nicht gestatten?
Eine Mathematikklausur ist so unwichtig, gemessen an den Polen des Lebens, den Dimensionen von Erden- und Himmelsgeburt. Doch das kann ich meinen Schülern ja schlecht begreiflich machen. Also werde ich's versuchen: meine Pflichten zu erledigen, pünktlich und sorgfältig, mich dabei ins übereilte Tempo des Arbeitslebens wieder einzufügen, so wenig ich mich auch im Innern damit verbinden kann.

Ja, das Arbeitsleben läuft gerade wie eine Parallelwelt neben mir ab. Ich stolpere mühsam mit, fühle mich überfordert und muss mir größte Mühe geben, nicht aus dem Hamsterradtritt heraus- - bzw. überhaupt erst wieder hineinzukommen. Bin langsam, säumig, vergesslich, ohne System und Struktur in allem - so kenne ich mich nicht (und so kennen auch die Schüler und Kollegen mich nicht :)).
Ich hoffe, ich werde den Spagat bewältigen, ohne zerrissen zu werden. Ein Bein in der Langsamkeit belassen, das Leben in seiner Wesensgeschwindigkeit durchleben - und mit dem anderen mitzueilen im äußeren Welttempo.

(Für die Frage, warum es diesen Spagat überhaupt geben muss, warum wir Menschen eine Welt gestalten, ein äußeres Lebenstempo mittragen und mitverantworten, das dem Innersten in uns nicht gerecht wird - oder ob ich mich diesem Tempo grundsätzlich entziehen kann, selbst in der Arbeitswelt - oder wo die stimmige Mitte liegt, die den Spagat aufzuheben vermag - für diese Frage ist im Moment kein Raum.)

Und wenn es hier und andernorts und im Mailfach derzeit stiller als sonst ist, so ist das weder ein gutes noch ein schlechtes Zeichen. So heißt das einfach, dass ich, wo es möglich ist, in der Langsamkeit verweile und keinen Grund sehe, diese wieder zu verlassen. Wie gesagt: wo es möglich ist. In meiner Schreibwelt ist es wohl möglich :)

Donnerstag, 13. Januar 2011

Weitewelten

Wohin sich der Blick auch wendet: unglaubliche Weite.
Der Himmel der Erde ganz nah.
Mitten hinein in meine Bergmenschin-Seele trifft die ungewohnt-fremde Landschaft. Dort, in mir, sind nun auch Weite und Himmel.

Keine Bilder von der inneren habe ich, dafür umso mehr von der äußeren Weite. Diese hier ...






























































... in jedem Moment öffnet sich die Weite in neuer Gestalt.
Ich kann es noch immer kaum glauben. Spüre, was alles darin Raum findet.

(Das Fotografieren einer solchen Horizontlinie will erstmal gelernt sein. Man sehe mir das stets ein wenig Schräge nach - woher auch soll Bergmenschin das können:) Und die Reihenfolge ist - als einzig schlüssige - die, in welcher mir die Bilder über den Weg gelaufen sind.)

Später mehr, später werde ich erzählen.
Vorerst ruft drängend und unduldsam ein Alltag, dem ich mich zu öffnen habe.
Wie gut, dass ich Weitewelten hierher mitgebracht habe, wie gut es sich damit lebt.