Sonntag, 16. Oktober 2011

Langsamkasse

Gestern waren wir in einem Konsumtempel. Einem der unsympathischsten Orte, um sonnige Samstagsstunden (oder überhaupt irgendwelche Stunden) zu verbringen. In mir ist größter Widerwille gegen solche Malls, aber hier gibt es nun mal Winterstiefel, Schreibblöcke, AAA-Akkus, Imprägnierspray, Folienstifte, Fahrradkörbe, Schulhäkelnadeln und damit viele Fliegen mit einer Klappe, also unter einem Dach. Und so landeten wir gestern dort.

Zum Schluss, erschöpft, stehe ich an einer Großmarktkasse, träume wartend vor mich hin, freue mich auf den Sonnenschein vor der Tür … und werde unfreiwillig Zeugin einer Belehrung. An der Kasse gegenüber nämlich. Eine Vermutlich-Chefin in Zivil zu einer Neukassiererin. Dies und das und jenes sei wichtig, oder nicht erlaubt, oder dringend zu beachten. Ein Redeschwall ergießt sich über die junge Frau. Und das Arbeitstempo: das sei viiieeel zu langsam. Ein Testkäufer wäre heute bei ihr gewesen, und der habe berichtet, sie würde die Dinge arg gemütlich übers Band ziehen, so dass die Leute hinten in der Schlange schon rumort hätten. „Aber ...“, will die junge Frau einwenden, doch sie kommt nicht zu Wort. Mangels fließender deutscher Sprachkenntnisse, und weil die Suada der Vermutlich-Chefin auch gar nicht vorsieht, dass die Überschüttete zu Wort kommt. Die Botschaft – wirst Du nicht schneller, dann wirst Du hier nicht arbeiten – die ist klar vernehmlich. Mir jedenfalls. Ob der deutschunkundigen Neukassiererin auch, bin ich mir nicht sicher. Am liebsten möchte ich sie tröstend in den Arm nehmen, verbal wenigstens. Damit würde ich ihr allerdings in dieser Situation einen Bärendienst erweisen. Also schweige ich. Und dass ich sie von hinten anlächle, kann sie nicht sehen.

Jedenfalls beobachte ich sie weiter, als die Chefin geht, der nächste Kunde kommt – sie schiebt die Dinge tatsächlich gemächlich übers Band, mit runden, ausgewogenen Bewegungen, keine Hast, keine Hektik, in ihrem Tempo eben. Ja, man könnte sie „langsam“ nennen …

Das wär's doch mal, träume ich, eine „Langsamkasse“ im Supermarkt. Als Gegenstück zur „Schnellkasse“, die es schon allerorten gibt. Für so Leute wie mich daneben eine „Langsamkasse“. Wo man wartend träumen und mit den Gedanken abschweifen darf. Wo man nicht zack-zack zusehen muss, alles in Windeseile auf's Band zu werfen. Und noch viel wichtiger: wo man nicht am anderen Ende schweißgebadet alles in Korb oder Tasche stopft, weil sich die Berge des nachfolgenden Einkäufers bereits auf den eigenen türmen. Wo einen nicht eine Schlange voller ungeduldig Wartender genervt anschaut, wenn man seine EC-Karte nicht in Null-komma-Nix aus dem Portemonnaie gefingert hat. Und sich dann noch bei der Geheimzahl vertut. Wo mich  das angesagte Tempo nicht ständig in ein Gefühl der Überforderung wirft. Wo ich als ich, und nicht als Hastgepeitschte einkaufen darf.

Eine Langsamkasse, wo es gemächlich zugeht. An der man mit Vordermann und Hinterfrau ins Gespräch kommt, oder wenigstens ins gegenseitige Anlächeln. Dazu ist genug Zeit, weil vorn an der Kasse ja auch geschwätzt wird. Weil man die Kassiererin mit Namen kennt, und mit ihren Geschichten, Sorgen und Nöten. Und vice versa. Wo es Begegnung gibt, wie früher im Laden an der Ecke. Wo nebenher ein bisschen eingekauft, übers Band geschoben und kassiert wird. Aber wo sich vor allem Menschen gegenüberstehen. (Oder sitzen – ok, die Kassiererin darf und soll sitzen. Außer wenn sie aufsteht, aus ihrer Box herauskommt, um mit einem Kunden zurück zum Regal zu gehen. Zum Beispiel, um etwas umzutauschen, oder ihm zu zeigen, dass es das, was er eigentlich wollte, doch gibt, oder einfach nur für eine kleine Empfehlung. Und dann kommen sie wieder zurückgeschlendert zur Kasse …)

Und beim Einpacken – da helfe ich der alten Frau vor mir, zusammen sortieren wir alles gemütlich in ihren Korb ein. Während sie derweil mit meinen Kindern schäkert, lacht, sich winkend verabschiedet. Die Kinder stellen ein paar technische Fragen zur Kasse – und bekommen sie beantwortet. Dürfen ruhig auch mal rüberklettern, auf den Schoß der Kassiererin, dürfen begeistert mitwirken bei unserem Einkauf. Nämlich den Scanner über die Codes ziehen, und den Knopf drücken, bei dem sich die Kasse öffnet. Während mir beim Verstauen meines Einkaufs der junge Mann hinter mir hilft, und wir über Sinn und Unsinn der letzten Gemeinderatsentscheidung ins Plaudern kommen. Bevor wir uns verabschieden und er sich erinnert, dass er jetzt mit seinem Einkauf dran ist …

Hach, eine Langsamkasse in jedem Supermarkt – und schon wären mir die Konsumtempelbesuche viel sympathischer. Wäre eine solche Kasse zu unzeitgemäß, nicht schritthaltend mit dem Tempo des modernen Lebens, nur eine romantisch-versponnene Idee, mein Sonntagsmorgentraum? Würde sich außer mir wohl noch jemand an einer solchen Kasse anstellen???

5 Kommentare:

  1. Bestimmt gibt es irgendwann "Reservate", wo Menschen noch Menschen sein dürfen....

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  2. ja, ich würde mich ganz gerne mit dir dort anstellen...

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  3. ja, ja gern.
    verlernt haben wir es doch all zu oft, die langsamkeit, die muße. zuviel hektik, hast und forderungen, zuwenig zeit, zuwenig interesse am Anderen aufgrund der sich stets drehenden mühlsteine des alltags.
    entschleunigung.
    wer hat zeit dafür? keiner. ausser dem, der sie sich nimmt, nehmen will.

    sehr schön zu lesen und vorzustellen, dein artikel!

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  4. eine so schöne idee!

    ich habe 'um die ecke' zum glück einen kleinen (bio)laden, indem es genau so ähnlich zu geht. persönlich, kommunikativ und freundlich. das einkaufen dort ist wirklich angenehm. und manchmal ertappe ich mich dabei, daß ich beim plausch mit dem chef ungeduldig werde, weil ich doch eigentlich nurschnellmaleben... aber das ist dann auch ok, ich sags dann und gut ist. dann töttern wir eben ein andermal weiter und planen dann die welt.rev.olution weiter ;-) (wir haben dort wirklich tolle gespräche.)

    liebe grüße!

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  5. Liebe Träumerin!

    Den "Gang" bzw. das Tempo geben überwiegend die Kunden selbst vor!

    Ich kann Dir die Blicke der Nachfolgenden nicht beschreiben, wenn der EC-Cash das 1. Mal und vielleicht auch gar nicht klappt!

    Und erst die Rentner/Innen! Diese Gattung sind die Schlimmsten mit dem Eilig-haben! Haben sie doch am wenigsten ZEIT!

    Ich spreche aus Erfahrung als Gegenüber eben: Kassxiererin!

    Liebe Grüße ....Lilly

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