Sonntag, 31. Januar 2010

Liebes-Sehnsucht

„Gott weckt in der Seele wunderbare Empfindungen und unvergleichbare Antriebe zu seiner über alles erhabenen Güte hin. Er drängt sie und treibt sie an, ihn zu lieben. So rafft sie sich denn mit aller Kraft auf, um sich zu ihrem Gott hinaufzuschwingen – kann aber nicht weiter, kann nicht lieben, wie sie es sich wünscht. Welchen Schmerz fühlt sie da, einen Schmerz, der seinesgleichen nicht hat. Während sie mächtig angetrieben wird, ihrem Vielgeliebten entgegenzufliegen, wird sie gleichzeitig zurückgehalten und kann sich nicht erheben.“

(Franz von Sales, 1567-1622)

Es ist schmerzlich, wenn sich die Liebe nicht auf Schwingen emporhebt, so wie ich es ersehne. Der Schmerz ist nicht kleiner, wenn es um die Liebe zu mir selbst geht.

Oft kann ich mich nicht so lieben, wie ich es wünschte. Zuweilen schaue ich verächtlich-verzweifelt auf meine Unzulänglichkeit. Da bleibe ich verstrickt in alte Muster der Ablehnung meiner selbst. Derart gefangen zu sein, tut weh, bildet eine Blockade aus Schmerz, Kummer und Ärger.

Erlaube ich diesen Energien, mich zu überwältigen, füge ich mir Schaden zu. Mir, meinem Körper und meinen Beziehungen zu anderen Menschen.
Unterdrücke ich diese Kräfte, lasse sie nicht an die Oberfläche dringen, lenke ich mich davon ab, kommt der Schmerz später mit gewaltigerer Wucht zurück.

Nein, statt meinem Schmerz davon zu laufen, will ich mich um ihn kümmern wie eine Mutter um ein weinendes Baby. Ich höre sein Schreien, und ich lächle ihm zu. Ich sehe es aus dem Innersten erbeben, und mich erfasst ein warmes Gefühl. Ich erkenne sein Leiden, und ich umarme es.

Mit all meiner Geduld will ich ausharren, bis mir geschenkt wird, was ich ersehne:
Mich in mein So-Sein fallen lassen zu können, voller Vertrauen, dass dieses Hier-und-Jetzt-Ich jenes Ich ist (und immer schon war), welches ich werden möchte. Befreit zu werden von der Fessel des ewigen Versuchens, jemand anderes zu sein. Statt dessen durch das Tor der Absichtslosigkeit zu schreiten.
Hinter diesem Tor erst werde ich den Mut finden, mich mir selbst zuzumuten. Dann erst wird mein Ja zu mir selbst, zu meinem Leben, zu meinem Weg wahrhaftig und bedingungslos aus der Tiefe meiner selbst ertönen.

Die drei Fragen

Eines Tages begab es sich, dass ein Kaiser sich dachte, nichts könne ihm mehr missglücken, wenn er nur die Antwort auf drei Fragen hätte:

Welche ist die richtige Zeit, um eine Sache anzugehen?
Welche Menschen sind die wichtigsten, mit denen es sich einzulassen gilt?
Welches ist das wichtigste Werk, dem man sich widmen soll?


Der Kaiser setzte eine reichliche Belohnung für denjenigen aus, der ihm Antwort auf diese Fragen geben könne. Viele kamen, jeder brachte eine andere Antwort.

Auf die erste Frage schlug einer einen Zeitplan vor für jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr, welcher strikt einzuhalten sei. Ein anderer meinte, da unmöglich alles im Voraus geplant werden könne, jeweils die nichtigen Ablenkungen zu lassen und sein Augenmerk stets auf das Bedeutende zu richten. Ein dritter bezweifelte, dass der Kaiser allein vorausschauend genug sein könne, um stets die richtige Sache auszuwählen, so solle er sich also einen Stab von beratenden Weisen und Wahrsagern einrichten.

Ebenso verschieden lauteten die Antworten auf die zweite Frage. Die einen sagten, der Kaiser solle all sein Vertrauen in Verwalter setzen, andere hielten Priester und Seher für unentbehrlich, andere wiederum Ärzte oder Krieger.

Auf die dritte Frage nach dem wichtigsten Werk sprachen die einen, das seien die Wissenschaften, die anderen meinten, die Kriegskunst, die dritten nannten die Religion.

Der Kaiser jedoch war mit keiner einzigen der Antworten zufrieden, und so zahlte er seine Belohnung nicht aus. Nach einigem Nachdenken beschloss er, einen Einsiedler im tiefen Wald aufzusuchen, der als sehr weise galt. Weil dieser nur einfache Leute empfing, kleidete sich der Kaiser in ein schlichtes Gewand, befahl seinem Gefolge, am Eingang des Waldes auf ihn zu warten, und machte sich zu Fuß auf den Weg, den Einsiedler aufzusuchen.

Als der Kaiser die Hütte des Einsiedlers erreichte, grub dieser seinen Garten um. Er begrüßte den Fremden kurz und grub ruhig weiter. Dem alten schwachen Mann fiel die Arbeit schwer, er keuchte ein jedes Mal, wenn er den Spaten in die Erde stieß und die Schollen wendete. Der Kaiser trat an ihn heran und sprach: „Ich bin gekommen, weiser Einsiedler, um dich zu bitten, mir drei Fragen zu beantworten: Welche ist die richtige Zeit, um eine Sache anzugehen? Welche Menschen sind die wichtigsten, mit denen es sich einzulassen gilt? Welches ist das wichtigste Werk, dem man sich widmen soll?“

Der Einsiedler hörte dem Kaiser zu, antwortete aber nicht, sondern begann wieder zu arbeiten. „Du bist erschöpft“, sagte der Kaiser, „gib mir den Spaten und setz dich auf die Erde.“ Der Einsiedler bedankte sich und ruhte aus.

Als der Kaiser zwei Beete umgegraben hatte, hielt er inne und wiederholte seine Fragen. Der Einsiedler antwortete wieder nicht, stand auf und streckte die Hände nach dem Spaten aus: „Jetzt ruhe du aus, ich will weitermachen.“ Der Kaiser aber gab den Spaten nicht her und fuhr fort zu graben. Es verging eine Stunde, eine zweite, und die Sonne begann hinter den Bäumen zu verschwinden. Da steckte der Kaiser den Spaten in die Erde und sagte: „Ich bin zu dir gekommen, weiser Mann, um auf meine Fragen eine Antwort zu erhalten. Wenn du nicht antworten kannst, so sag es doch, dann will ich nach Hause gehen.“

In dem Moment sprach der Einsiedler: „Sieh einmal, da kommt jemand gelaufen. Lass sehen, wer das ist.“ Aus dem Walde näherte sich ein bärtiger Mann, die Hände vor den Leib gepresst, zwischen den Fingern sickerte Blut hervor. Als er bei den beiden angelangt war, fiel er zu Boden, lag unbeweglich da und ächzte leise. Der Kaiser und der Einsiedler öffneten die Kleider des Mannes und sahen eine tiefe Bauchwunde. Der Kaiser wusch sie, so gut er konnte, und verband sie mit seinem Hemd. Aber das Blut hörte nicht auf zu strömen, und der Kaiser nahm wieder und wieder das mit Blut getränkte Hemd ab, wrang es aus, wusch die Wunde und verband sie von neuem.

Als das Blut endlich gestillt war, bat der Verwundete um Wasser. Der Kaiser trug frisches Wasser herbei und gab ihm zu trinken. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und es war kühl geworden. Mit Hilfe des Einsiedlers trug der Kaiser den Verwundeten in die Hütte und legte ihn aufs Bett. Der Verwundete schloss die Augen und wurde still. Der Kaiser aber war so ermüdet, dass er, auf der Schwelle zusammengekauert, ebenfalls einschlief.

Als er wieder erwachte, war die Sonne schon hinter den Bäumen aufgegangen. Für einen Augenblick wusste er nicht, wo er war und warum er gekommen war. Auch der Verwundete auf dem Bett sah sich verwirrt um. Als er bemerkte, dass der Kaiser erwacht war, schaute er ihn eindringlich an und flüsterte mit schwacher Stimme: „Verzeiht mir.“
„Ich kenne dich nicht und habe dir nichts zu verzeihen“, erwiderte der Kaiser.
„Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne Euch. Ich war Euer Feind, jener Feind, der geschworen hatte, an Euch Rache zu nehmen, weil Ihr meinen Bruder hingerichtet und meine Güter genommen hattet. Ich habe Euch töten wollen, und Ihr habt mir das Leben gerettet. Von nun an, wenn ich am Leben bleibe, und wenn es Euch recht ist, will ich Euch als treuester Gefolgsmann dienen, und auch meinen Söhnen will ich das zu tun befehlen. Verzeiht mir!“

Der Kaiser war überaus froh darüber, wie leicht er sich mit seinem früheren Feinde ausgesöhnt hatte, und er verzieh ihm nicht nur, sondern versprach auch, ihm seine Güter zurückzugeben und ihm außerdem seine Diener und seinen Arzt zu schicken, damit diese ihn bis zur vollständigen Genesung pflegten.

Bevor er sich nun selbst auf den Heimweg machte, wiederholte er ein letztes Mal seine drei Fragen. Der Einsiedler war gerade dabei, Samen in die Erde zu legen, die sie am Vortag umgegraben hatten. Er richtete sich auf: „Aber du hast doch deine Antwort schon bekommen.“
„Wie das?“ fragte der König erstaunt.
„Hättest du gestern nicht Mitleid mit meiner Schwachheit gehabt und diese Beete umgegraben, so wärst du allein zurückgegangen und dieser Mann hätte dich überfallen. Wie hättest du bereut, nicht bei mir geblieben zu sein. Die wichtigste Zeit war also die, in der du die Beete umgegraben hast. Der wichtigste Mensch war ich, und die wichtigste Aufgabe war, mir Gutes zu tun. Als dann jener Mann angelaufen kam, war die wichtigste Zeit die, die du mit dem Pflegen seiner Wunde zubrachtest, denn sonst wäre er gestorben, ohne dass ihr euch ausgesöhnt hättet. Er war die wichtigste Person, und die wichtigste Aufgabe bestand darin, seine Wunde zu versorgen.
Merke dir: es gibt nur eine wichtige Zeit, und die ist
jetzt. Wir haben nur den Augenblick, nur über ihn können wir verfügen. Die wichtigste Person ist immer der Mensch, mit dem uns der Augenblick zusammenführt, der uns in dem Moment am nächsten steht. Denn wir können nie wissen, ob wir je noch mit einem anderen zu tun haben werden. Und das wichtigste Werk ist stets, eurem nächsten Menschen Gutes zu erweisen. Denn nur dazu ward der Mensch ins Leben gesandt.“

(nach L. N. Tolstoj)

Samstag, 30. Januar 2010

Sonnengeschenk

Darf man am Nachmittag noch Fotos von der Morgensonne einstellen? Muss man wohl, wenn es früher nicht ging, weil man den ganzen Vormittag unterwegs sein musste.

Heute morgen so unerwartetes, so geschenktes Licht - da erst spürte ich, wie lange uns die Sonne hier nicht mehr geweckt hatte. Es mögen zwei oder mehr Wochen gewesen sein. Doch ich hatte - auch das spürte ich dabei - die Sonne in dieser Zeit noch gar nicht herbeigesehnt, geschweige denn erwartet. So war sie heute echtes Geschenk.

Echte Geschenke sind immer unerwartet.
Oder umgekehrt: Was man erwartet, was man als selbstverständlich, als einem zustehend ansieht, kann nicht mehr Geschenk sein.


Unser Dorf und der Wald, kurz bevor die Sonne über den Berg steigt:






Und die allmählich hinter dem Berg hervorkommende Sonne:
(Ich weiß, mit Stativ und immer gleichem Ausschnitt und gleicher Belichtung sieht es besser und eindrucksvoller und professioneller aus, aber ich wollte da heute morgen eben einfach nur am Fenster stehen, habe alle paar Minuten frei aus der Hand "geschossen".)










"Heute Morgen wache ich auf und sehe den blauen Himmel.
Ich lege meine Hände zusammen im Dank
für die vielen Wunder des Lebens;
für die vierundzwanzig brandneuen Stunden,
die vor mir liegen.
Die Sonne geht auf,
und der Wald, getaucht in das Licht der Sonne,
wird zu meiner Achtsamkeit."


(Thich Nhat Hanh)

Freitag, 29. Januar 2010

Akustischer Beweis

Und als ich heute morgen am Telefon dem Vertretungsplanmacher wortreich erklärte, warum ich ausnahmsweise nicht in der Lage bin, jetzt Aufgaben für die vier zu vertretenden Stunden zu erstellen und per Mail zu schicken, unterstützte das Kind meine Argumentation durch eindrucksvoll dargebotene Spuckgeräusche über der großen Schüssel. Brav, Kind, der Zeitpunkt war perfekt. (So genau wollte der Vertretungsplanmacher die Gründe wohl gar nicht wissen ;-))

Ansonsten läuft gerade die zweite Waschmaschine, ich lagere mit dem Kind im großen Bett, inzwischen ist alles gut durch Handtücher und Schüssel geschützt, und wir harren der Dinge, die da noch kommen.

Ich hoffe sehr, dass es sich bei meinem arg flauen Grummeln im Bauch um ein rein solidarisches Gefühl handelt, ich hoffe sehr, dass es den Mann, der gerade fast 100 km mit dem Auto auf verschneiten Straßen unterwegs sein muss, dort nicht auch erwischt, und ich hoffe sehr, dass jetzt kein Anruf aus der Schule kommt, das große Kind möge bitte abgeholt werden … das wüsste ich im Moment wirklich nicht zu bewerkstelligen, mit spuckender Tochter durch Schneetreiben mit der S-Bahn? Nee, jetzt hoffe ich mal, dass der nicht …

Die Tochter jedenfalls bekommt ‘ne Tapferkeitsmedaille, wie sie heute nacht ein ums andere Mal blass im Bett saß, sich waschen und umziehen ließ, und immer nur sagte: „Und wenn ich wieder in’n Kindergarten geh‘, erzähl‘ ich, dass ich x Mal gespuckt habe.“ Und das x setzte sie wie ein zuverlässiger Zähler jedesmal um eins nach oben ;-)

Donnerstag, 28. Januar 2010

Voll peinlich?

Schneechaos - oder das, was heutzutage so genannt wird ;-), auch hier. Die Autos schleichen im Schneckentempo über den Berg. Als wir endlich an der Schule ankommen, geht der Sohn zu seinem Eingang, ich zu meinem, ich rufe ihn kurz zurück und sage: "Und wenn Du jetzt reingehst, klopfst Du an und sagst 'Entschuldigen Sie bitte, dass ich zu spät komme. Wir konnten nicht schneller über den Berg fahren.'"
Er knurrt zwischen den Zähnen hindurch: "Öh, das ist ja voll peinlich."
Und ich weiß nicht, ob er das Zuspätkommen, oder die Tatsache, dass er allein die Klasse betreten muss, oder ob er diesen Spruch meint.

Bestimmt tut er's auch nicht, das Aufsagen, ich wollte es ihm nur gesagt haben. Weil ich immer wieder erlebe, wie Schüler verspätet kommen und so gar nichts dazu sagen. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Ich bin auch nicht naiv und erwarte innere Reue, sollte es Eigenverschulden sein. Aber was will ich dann eigentlich? Informiert werden über den Grund der Verspätung? Sehen, dass der Schüler weiß, dass Verspätung nicht normal ist? Auf Einhaltung einer Höflichkeitskonvention dringen?

Oder ist das kleinlich von mir, dass ich einen Entschuldigungsspruch erwarte? Bin ich da altmodisch? Muss ich endlich umlernen? Ist es "voll peinlich", sich in - zugegeben - formaler Weise zu entschuldigen?

Sind sie Form, oder sind sie Inhalt, diese Höflichkeitsfloskeln?

Und wem es seltsam vorkommt, dass mich das bewegt, sei erläutert:
Zu Beginn meiner Zeit im "Westen" hat mich all diese ungewohnte Höflichkeit, zum Beispiel in Geschäften, nicht nur irritiert, sondern richtiggehend aggressiv gemacht. Ich empfand sie als bloße Form ohne innere freundliche Haltung, als aufdringlich, als falsch und verlogen ('die wollen mir nur was verkaufen, die meinen mit ihrem Lächeln gar nicht mich ...').
Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, aber manchmal hinterfrage ich es halt. Eine Antwort habe ich für mich übrigens nicht, warum mir der Entschuldigungsspruch bei verspäteten Schülern so wichtig ist. Ich weiß nur, dass ich täglich drauf dringe.

Und als ich dieses Thema in die morgendliche Runde im Lehrerzimmer werfe, als wir reflektieren, inwieweit Höflichkeit ein Ausdruck meiner inneren Haltung und meines Menschenbildes ist, höre ich ein Schopenhauer-Zitat:
"Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: Es mag wohl nichts drin sein, aber sie mildert die Stöße des Lebens."
Und ob wirklich nichts drin ist, werde ich weiter als Frage in mir tragen.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Druckschmerz

Ein Nachmittag voller Notenkonferenzen ist lang. Wir sprechen über 150 Schüler. Eigentlich nur über 20 bis 30 davon. Über die, die uns Sorgen bereiten, weil sie dem Druck nicht standhalten können.
Weil wir ihnen „Versetzung gefährdet“ oder „Wechsel zur Realschule empfohlen“ oder „21 unentschuldigte Fehltage“ oder „sollte dringend … verbessern“ oder „muss unbedingt an … arbeiten„ ins Zeugnis schreiben.

Und dann hören wir die Geschichten dahinter:
Eltern frisch getrennt – Kind beim Vater, der aber tagsüber nicht da ist – Eltern lassen sich von uns nicht beraten – muss sich mittags sein Essen allein kochen – Eltern schicken ihn dreimal pro Woche zur Nachhilfe – hat Angst davor, nächstes Jahr mit der Familie wieder in die Heimat zurückzukehren – rastet regelmäßig aus und schlägt Klassenkameraden - sitzt den ganzen Tag am Computer – Mutter in psychotherapeutischer stationärer Behandlung – die Geschwister reden nicht mehr mit ihr – ritzt sich – niemand wartet zu Hause auf das Kind – Vater liegt im Sterben – Eltern üben bei jeder schlechten Note Druck aus – Kind ist in Nacht- und Nebelaktion zu Hause ausgerissen … … …

Und von Sitzung zu Sitzung wird mir schlechter. Ich bin dünnhäutig, stecke das heute nicht weg, wundere mich, wie alle anderen das scheinbar können. Mir kommen die Tränen, ich bin bedrückt und traurig.
Und fühle den Druck, den diese Kinder erleiden müssen, in meiner eigenen Magengrube.

Als ich gehe, lasse ich meine Bücher und Hefte in der Schule liegen. Meinen Unterricht in allen Einzelheiten vorzubereiten, erscheint mir heute so sinnlos. Lieber werde ich darüber nachsinnen, wie ich den Schülern morgen gegenübertreten werde.

Nun bin ich zu Hause. Die Kinder warten schon. In einigen Jahren werden Lehrer in Konferenzen über sie sprechen.

Montag, 25. Januar 2010

Schneebedeckt

Eigentlich zog mich nichts in die Kälte, als ich heute vormittag aus der Schule kam. Doch da war Schnee, frisch gefallen, da sah alles puderweiß aus, wie sonst nie bei uns. Und da war der Gedanke, dass ich – eben darum – so gar keine Winterbilder habe, nicht vom vorigen Jahr, nicht vom vorvorigen, so gar keine.

Ob man es den Bildern ansieht, dass ich eigens dafür losgezogen bin?
Dass mich, mit klammen Fingern die Kamera haltend, die ganze Zeit fröstelte?
Dass der Himmel – grau in grau – eigentlich gar kein Fotografierlicht bot?
Dass nicht mein Auge die Natur und ihre Bilder trank, bevor ich auf den Auslöser drückte – wie sonst –, sondern dass ich mich nur zum Zweck der Objektsuche umschaute?
Dass ich mich dabei wie ein Tourist fühlte, der während der Reise nur durch die Kamera blickt, um später zu Hause auf den unzähligen „ich war da“-Fotos eine billige Kopie dessen zu finden, was er hätte „in echt“ sehen können?

Habe ich hier Bilder geschaffen, die ich gar nicht in der Wirklichkeit wahrnahm – ist das Fiktion, ist das Täuschung?
Wie oft mag das hier im Blog noch so sein: dass ich Wortbilder und Texte erschaffe, die ich nicht in der Realität lebe? Im Sinne: dass ich hier ein abstraktes Innen darstelle, ein Wunsch- und Traum-Innen, welches nicht meinem konkreten Alltags-Außen mit seinen Verhaltensweisen und Taten entspricht?
Bin ich dann als Blogfigur nicht eine Art Fälschung, ein stachliges, unebenes, raues Ich, gleichsam mit dem Schnee der Sprache bedeckt, der vieles glatter, milder, ebener, reiner erscheinen lässt? Viel Dichtung mit wenig Wahrheit, sozusagen?

Doch ich bin weit abgekommen … ich wollte Bilder zeigen …

… wie unsere Puderzuckerwelt ausschaut …




… wie das Gleiche je nach Perspektive krumm oder gerade oder noch ganz anders strukturiert wirken kann …





… wie zarte Äste und Ästchen unglaublich beladen sein können …




… wie Formen mir durch den Schnee erstmals sichtbar werden …





… wie die Erinnerung an Blüten und Früchte auch durch das Weiß hindurch scheint …





… wie die Rosen ihr mannigfaltiges Äußeres selbst im Schnee bewahren …






… wie schwache Zweige sich unter ihrer Last zu beugen wissen, ohne zu zerbrechen …






… wie das zarte Weiß neue Strukturen schafft …




… wie so manche Bewegung eingefroren ist …





… wie so manche Form durch einen Schneehut deutlicher zutage tritt …





… wie Muster kristallklar sichtbar werden …









Nun, vielleicht sollte ich mir die Fotos als Hintergrund nehmen, um über mein echtes und mein Blog-Ich nachzusinnen …

Sonntag, 24. Januar 2010

Loslassen - Zulassen

„Danach ließ mich unser Herr ein erhabenes
geistliches Wohlgefallen in meiner Seele schauen.
In diesem Wohlgefallen wurde ich von einem
ewig währenden Geborgensein erfüllt,
wurde machtvoll gefestigt und verlor alle Furcht.
Mir war bei diesem Gefühl so froh und gut zumute,
dass ich mich in Frieden, Behagen und Ruhe befand
und nichts auf Erden war, was mich hätte betrüben können.
Dies aber währte nur eine kurze Weile,
und dann wandelte sich mein Gefühl,
und ich wurde mir allein überlassen,
bedrückt, überdrüssig meiner selbst
und ärgerlich über mein Leben,
sodass ich kaum Geduld zum Weiterleben aufbrachte.
Kein Wohlbehagen, kein Trost war da,
so empfand ich es;
nur Glaube, Hoffnung, Liebe;
die besaß ich in Wahrheit,
doch ich empfand es nur wenig.
Und gleich darauf schenkte Gott
mir wieder den Trost und die Ruhe der Seele
und eine so gesegnete und mächtige Freude
und Sicherheit, dass weder Furcht noch Kummer,
noch leibliche oder geistige Pein, die ich hätte erleiden können,
mich um meine Ruhe gebracht hätten.
Dann zeigte sich wieder die Pein in meinem Gefühl
und danach wieder die Freude und das Wohlbehagen,
bald das eine, bald das andere zu verschiedenen Malen
und es mag wohl zwanzig Mal so gewesen sein.“


(Juliana von Norwich)

… oder vierzig Mal oder noch viel häufiger …

Ganz gleich, ob wir dieses Pendeln zwischen Hoch und Tief, zwischen Hell und Dunkel, dieses „bald das eine, bald das andere“, dieses schwankende Empfinden für uns in einem spirituellen Kontext verstehen oder eine andere Sprache sprechen – wir sind diesem ausgeliefert. „Ausgeliefert“ in dem Sinne, dass wir die verschiedenen Stimmungen zulassen, als das Unsere akzeptieren müssen, weil sie Teil einer lebendigen Beziehung zu unserem eigenen Ich sind, weil sie uns eine Botschaft über unser Ich mitbringen. Und weil Widerstand dagegen schmerzt. „Ausgeliefert“ auch in dem Sinne, dass wir keine Schuld dafür tragen, uns nicht entschuldigen müssen, uns nicht mit eigener Kraft hinausbegeben können aus dem Tränendunkel. Nur geduldig warten, in zuweilen karger Seelenlandschaft, mit verstummter Zunge, warten eben …

Ach, ich weiß gar nicht so richtig, was ich eigentlich sagen will. Ich fühlte den Text, als ich ihn heute Mittag fand, so tröstlich, so sehr mich betreffend. Mich, die ich sooo gern die Kontrolle behalte, mit meinem Willen alles zu steuern versuche. Die ich immer wieder üben muss, dass dies hierbei nicht geht, dass ich loslassen muss, wie ich mich gern hätte, und zulassen muss, was da kommt. Immer wieder.

Samstag, 23. Januar 2010

Mitbringsel

Spannend, sich in die Schülerrolle zu begeben. Wie müde ein Vortrag nach dem Mittagessen macht, wie schwer nicht einzuschlafen, wie schwer 90 Minuten ohne Toilette auszuhalten, wie schwer (unmöglich?) nicht zwischendurch mit der Nachbarin zu reden. Und wie unerträglich öde, wie schlecht können Vorträge sein. (Und wie gut auch: Der am zweiten Tag riss alles raus.)
Nebeneffekt einer Fortbildung: die Schülerrolle mal wieder von innen zu erleben, fortan milder auf die Schüler zu schauen.

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Wem von denen sieht man den Mathelehrer an? - denke ich beim Betreten des großen Saales. Und wem würde ich mein Kind gern für den Matheunterricht anvertrauen wollen? Leichtes Schaudern …
Es liegt wohl am Thema. Denn auf anderen Fortbildungen habe ich das nie so empfunden, immer eine ganz andere Atmosphäre erlebt. Auf dieser hier geht es um Computereinsatz im Unterricht und im neuen Abitur, und alle hier scheinen irgendwie eine Liebesbeziehung mit ihrem Rechner zu pflegen. Die Fragen, die gewälzt werden, sind nicht meine. Klar, sie sind Bestandteil meines Handwerks, sind notwendig, aber sie sind nicht der Kern meines Lehrgeschäfts. Die hier wallende Leidenschaft kann ich nicht teilen, ein Eros für meinen Rechner wird in mir nicht wachsen.
Während der Sitzungen arbeitet es in mir im Stillen. Ich habe eine intensive Begegnung mit meinem eigenen Lehrerbild, mir werden langgärende Fragen bewusst, ich werde angestoßen, es wird weiterarbeiten. Aber alles eher in eine andere Richtung als die des Konzepts, welches hier ausgebreitet wird.
Immerhin gibt es einen fantastischen Vortrag am zweiten Tag, der über den Tellerrand des „Technologieeinsatzes“ hinausblickt. Der Fragen berührt, die auch für mich zentral stehen. (Der Vortrag war von einer Frau gehalten – Zufall, dass er das Meine berührte?). Beim Zuhören befallen mich Neugier, Erregung, Reflexion und Ideen, in der anschließenden Diskussion melde ich mich zu Wort.

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Ein abendlicher Gesprächsfetzen:
Ich sitze mit meinem Tee in der Cafeteria und höre das Gespräch herannahen. Höre Erregung in der Stimme:
Ja, ich habe Angst. Wie die Schüler. Neulich haben wir lange drüber gesprochen. Die sind zum Teil richtig aufgelöst vor Angst. Das mit den Wellen, das ging ja noch, da konnte ich sie noch beruhigen. Aber die mit den Flugzeugen – da ist es mir auch kalt den Rücken runtergelaufen.
Hm? Zweites Fach Religion. Oder Klassenleiterstunde: Gespräch mit jüngeren Schülern über Naturkatastrophen, denke ich, naheliegendes Thema im Moment.
Nein, andere Auflösung: Es geht um Abituraufgaben und die Angst vor ihnen. Die Wellenaufgabe und die Flugzeugaufgabe müssen besonders beunruhigend gewesen sein. So erschließe ich mir das.
Oh je, und ich habe von diesen Aufgaben noch nicht mal was gehört. Wie soll ich meine Schüler bloß gescheit auf´s Abitur vorbereiten? Denkt ein Teil in mir. Und der andere Teil beschließt, jetzt nicht mit denen in die „Klause“ zu gehen. Ich gehöre nicht dazu. Mir ist es wegen einer Abi-Aufgabe noch nie kalt den Rücken runtergelaufen. Es gibt andere Dinge im Leben, die dies rechtfertigen, aber eine Aufgabe?




In den Bergen ist es kälter als bei uns, und schneeiger, und nebliger. Was ich leider nur durch die großflächigen Fenster des Tagungsraumes wahrnehmen kann, erst abends kann ich hinaus. In einem Kurort im Januar hat man die Straßen nach 8 Uhr für sich allein. Vorher vielleicht auch, aber das konnte ich nicht überprüfen. Seltsame Stimmung, wie ausgestorben, Welt zwischen den Welten. Riesige Hotelschuppen, Leuchtreklame, Laserhimmelsstrahler, daneben alte Fachwerkhäuser mit Namen wie „Pension Alte Post“ und „Villa Edeltraut“. Thermalbad, Evangelische Akademie und Psychosomatische Klinik, alles irgendwie gottverlassen. Durch die Nacht lärmen allein die Enten im Kurpark. Und ein streitendes, betrunkenes Paar, das den Heimweg noch nicht gefunden hat.



Als ich gegen 9 Uhr zu Hause anrufe, ist die Tochter noch wach. Zieht sich gerade aus und will nicht mit mir sprechen, wohl aber mich hören. Also monologisiere ich sie an. Dann gibt sie den Hörer wieder ab. Ich höre sie im Hintergrund schimpfen, dass der Pullover nicht über den Kopf passe. Sehr sehr schimpfen, mit dem Pullover argumentieren und ihn anlamentieren. Oh – wie ich sie liebe!
Der Sohn sei schon im Bett, der Wecker gestellt, der Frühstückstisch gedeckt. Die machen das schon gut, die drei.
Als ich wieder zu Hause bin, erzählt mir mein Mann vom Kindergartenaufbruch am nächsten Morgen. Die Tochter erkennt die Situation messerscharf: „Eine Mütze brauch ich nicht, die Mama ist ja nicht da.“ ;-)



In einem karg eingerichteten, zugigen, beengten Zimmer ohne bequeme Sitzmöglichkeit fällt es mir schwer, bei mir zu sein. Ich übe mich darin, mich von der Umgebung zu lösen. Mich auf´s Bett zu setzen, in die Tiefe zu spüren. Aufrecht, ohne Lehne, wach werden, lesen, spüren, schreiben, spüren, atmen, spüren, das Außen abschalten, auch den Kopfschmerz. Es ist eine innige Erfahrung mit mir selbst. Man erfährt andere Dinge über sich, wenn man auf eine kahle Wand und in einen nüchternen Spiegel schaut.
Die Kargheit des äußeren Raums ist leichter zu ertragen, weil ich weiß, am nächsten Abend wieder in meinem warmen Haus zu sein. Doch weiß ich das? Wie wäre es, wenn ich diese Gewissheit nicht hätte? Eigentlich hat man sie nie. Vertrauen ja, Gewissheit nein. Ich muss mich lösen von der äußeren Umgebung, muss mich in meinem inneren Raum bewegen. Ein Erkenntnismitbringsel dieser Tage.



Zelebriert! – würde ich meine Bewegungsform im äußeren Alleinsein beschreiben. Ich habe alles zelebriert. Das Umhergehen im Zimmer, das Fotografieren (das spärliche, mit dem kleinen Knipser), jede Bewegung, das Brilleputzen, das Sortieren meiner Dinge – alles war feierlich, eine Art Sonntag. Lag das an der Ruhe, die ich sonst nicht leben kann?



Und ein Wertvolles bringe ich noch mit. Ich hatte in diesen Tagen mit einem Kopfschmerz-Anfall zu tun, wie ich sie schon lange kenne. Diesmal hatte ich Zeit und Raum, dem nachzuspüren. Und – ich wage es kaum zu sagen – habe etwas gefunden in mir, an mir, mit mir, das Linderung verschafft, das einen Weg aufzeigt, den Schmerzen zu begegnen. Jedenfalls scheint es mir so. Oh – ich wage es noch nicht zu hoffen. Wenn es denn wirklich so sein sollte, wenn dieses eine Mal keine Ausnahme, kein Zufall war, werde ich irgendwann ausführlich dazu schreiben. Im Moment bin ich ganz still und lausche in mir den letzten verstummenden Schmerzblitzen nach.



Erstaunlich, was in mir in diesen 36 Stunden alles geschehen durfte. (Doch, G., ich konnte mich erholen.)
Erstaunlich, wie viel Raum in diesem 9-Quadratmeter-Zimmer für so manches war. (Und C., auch für Dich – hast Du es gespürt?)
Erstaunlich, wieviel ich aus diesen kurzen Tagen mitgebracht habe – auch wenn sich die Veranstalter sicherlich eine andere Art von Impulsen vorgestellt hatten, die ein jeder im Gepäck mit heimnimmt. Meine Mitbringsel sind auch nicht schlecht, meine ich.

"Nichts"

"Und - hast du am Wochenende noch was zu tun?", fragt mich die junge kinderlose Kollegin auf der Heimfahrt. Ich schaue sie an und lache. Sie versteht. Sagt entschuldigend: "Ich meine, für die Notenkonferenzen?"
"Neee, nichts." Damit bin ich tatsächlich fertig.

Ansonsten habe ich hier ein Haus voller "Nichts" zu tun.
Die Kinderzimmer zum Beispiel. Dass dort nicht alle Spielsachen auf dem Boden ausgebreitet sind, liegt einzig daran, dass der Boden auch so schon lückenlos bedeckt ist. Auch meine Kinder haben die zwei Tage gut zu füllen gewusst ;-)
Und diesem meinem "Nichts" werde ich mich jetzt wieder widmen.
Von meinen vollen 36 Stunden berichte ich später.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Fortbildungsausflug

In einer Stunde fahren wir los. Das letzte Mal ist knapp 5 Jahre her, dass ich ohne Kinder unterwegs war. So richtig ohne Kinder, auch ohne Schulkinder, meine ich. Also nicht Klassenfahrt oder Schüleraustausch oder so, nein, ganz allein ohne Kinder! Ich werde mich um niemanden kümmern müssen, und ich weiß gar nicht mehr, wie sich das anfühlt.

Bis 19 Uhr dauern laut Programm die Sitzungen, dann Abendessen, dann „Kamingespräche“ - was auch immer „Kamingespräche“ in Anführungszeichen zu bedeuten hat?! Aber dann! Dann bin ich ein freier Mensch!
Keine Kinder ins Bett bringen, und keine aus fremden Betten wieder rausholen. Keine Geschichten vorlesen, und keine darüber anhören müssen, warum man zu spät aus der Stadt zurückkam. Nicht am Bett Wache sitzen, und auch nicht auf den Gängen einer Jugendherberge patrouillieren. Keine Tränen trocknen, nicht die des schlechten Traums, und auch nicht die des Heimwehs. Nichts von alledem. Einfach nur ich – ich für mich.
Oh, was ich da alles tun kann … in der verschneiten (?) Berglandschaft spazieren, lesen, die Ruhe genießen, Briefe schreiben, oder Emails, am Fenster sitzen und träumen, Tagebuch, Mitternachtsspaziergang … oh!

Und morgens erst: Keine verschlafenen Kinder wecken, nicht den pünktlichen Aufbruch erkämpfen, Brote nur für mich schmieren, nicht um falsche Kleiderwahl diskutieren … einfach nur mich um mich selbst kümmern. Wie mag sich das anfühlen?
Und – ich glaub, ich les nicht richtig – um 9 Uhr zum ersten Vortrag erscheinen. Um 9 Uhr! Normalerweise habe ich um die Zeit schon den Familienbetrieb angekurbelt, die Kinder versorgt und weggebracht, die Schule mit meiner Morgenlaune erfreut, die Schüler in die Welten der Mathematik entführt und die erste Doppelstunde zum Ende gebracht.
Morgen, da kann ich mich einfach um 9 Uhr in meinen Sessel setzen und berieseln lassen ;-)

Boah! Müttergenesungswerk!

Aber morgen Abend, da werde ich bei unserer späten Rückkehr doch hoffen, dass die Kinder noch wach sind. Weil ich dann nämlich glücklich sein werde, sie wieder fest in den Arm nehmen zu können. Ein Tag Müttergenesung reicht.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Die kleinen Blümchen am Wegesrand -

- heute geschenkt von meinen Kindern.

Von meinem Sohn zum Beispiel.
Nach dem Badewannengaudi mit der Schwester wischen sie allein das Bad auf (upps?) und wieseln nach unten. Ich höre Geschirr klappern und die Kühlschranktür (wieder: upps?), und kurz darauf den Ruf quer durch's Haus: "....... Bro-hot?!" Oh, wir haben kein Brot mehr, denke ich, und dann wieder: nein, das kann doch gar nicht sein. Ich rufe zurück "Glei-eich", und räume weiter die Wäsche ein.
Kurz darauf wieder: "....... Bro-hot?!" Ich zurück: "Ich hab' gesagt glei-eich." Ach so, er kann's ja nicht allein schneiden, denke ich.
Nochmals schallt es von unten: "....... Bro-hot?!" Ich werde leicht ungehalten: "Ich hab' doch gesagt, ich komme gleich!!!"
Daraufhin wird er deutlicher: "Ma-ma, was willst Du auf Dein Bro-hot?"
Oh - also wenn das so ist: "Le-ber-wurst", und bin ganz überrumpelt.
Und der Schwester hat er auch alles liebevollst geschmiert.
Das können wir öfters machen ;-)

Und von "meinen" Schulkindern.
Vor der Tür steht 'ne Schülerin, die sonst nicht kommt: "Bei uns fällt Sanitäter-AG aus. Darf ich heute hier mitmachen?" - Na klar doch.
Eine andere hat in der Mathearbeit 'ne 1-2 geschrieben, wie sie mir zögernd gesteht. "Na", sage ich ganz happy, "was machst Du dann noch hier?" - "Äm, ich würd' gern trotzdem weiter kommen. Darf ich?"
Upps ... und *schluck*. Mathe-Förderunterricht am Nachmittag, freiwillig, wenn alle anderen Schulschluss haben. Und gleich zweimal die Frage "Darf ich?" ...
Das ist schöner als jeder Blumenstrauß ;-))

Woher wussten die nur alle, wie gut ich das heute brauchen konnte ...

Dienstag, 19. Januar 2010

Sehnsuchtsströme

"Ich habe keine Probleme mehr, mein Leben ist in ein breites Flußbett geraten und treibt gemächlich zum Meer, ohne Hindernisse, ohne Umwege, ohne Tiefen und Strudel. Es sieht eine freundliche Landschaft an seinen Ufern vorüberziehen, nicht abwechslungsreich, aber auch nicht beunruhigend, es ändert seine Geschwindigkeit nicht, aus Trägheit und Gewöhnung, fließt geruhsam dahin, verweilt nicht, drängt nicht, kennt keine anderen Bedürfnisse als dieses beschauliche Dahingleiten, bis es eines Tages ins Meer münden wird, aufgehoben für die Ewigkeit, auf die es nicht vorbereitet ist.
Auf seinem dunklen Grund aber führt dieses Wasser die Sehnsucht nach dem verlorenen Bergquell mit sich, nach den Mühen der Gebirge, es möchte aus dem sonnigen Flußbett ins Ungewisse einer verirrten Strömung, in dunkles Gestein vorstoßen, das nirgendwohin führt oder ins Paradies. Es möchte sich in einen abseitigen Bergsee ergießen, sein Geheimnis spüren, bei den Fremden, den Schweigsamen, den Fischen bleiben, möchte dann in Stromschnellen mit allen Gefahren sich messen, noch einmal jünger und stärker werden oder sterben im Rausch
."

(Maxie Wander)


Und als ich dies vorhin las, schienen mir Zweifel auf:
Was, wenn auch ich so gemächlich dahinplätschere, wenn ich mir nur selbst vortäusche, in Wachheit zu leben?
Wenn mein "es geht mir gut" gar nicht aus einer Tiefe heraus geboren ist, sondern im behäbig-beschaulichen Dahintreiben sich erschöpft?
Wenn ich jeden Keim des wirklichen Erwachens sofort wieder ersticke, aus Furcht vor der Unbehaglichkeit des Weges?
Wenn ich feige und kleinmütig vor jedem Wirbel, jeder Untiefe, jeder Stromschnelle ausweichen möchte?
Wenn tief in meinem Innern Scheu und Hemmnis davor ist, mich meinem Ich-Weg bedingungslos auszusetzen?
Wenn ich zu vorsichtig, zu wenig hingabefähig bin für wirkliche Wandlung?
Was also, wenn auch ich in seicht-trägem Dahingleiten gefangen bleibe, trunken noch dazu von der Einbildung, es sei anders?

Wäre es anders - warum würde dann diese leise Sehnsucht in mir allzu oft allzu laut dröhnen?
Sehnsucht, das breite bequeme Flussbett zu verlassen ...
Sehnsucht nach dem Bergquell, nach geheimnisvoll verirrter Strömung ...
Sehnsucht, die Kräfte dafür aus meinem Ich heraus geschenkt zu bekommen ...
Wäre die Sehnsucht so stark, wenn das Objekt des Sehnens nahe wäre?

Und dann diese meine arme kleine Sehnsucht nach Dialog, auch die lässt mich zweifeln.
Braucht das wahre Strömen Dialog?
Ist es dann nicht Illusion, wenn es nur auf dem Boden des gemeinsamen Wortes gedeihen kann?

Fragezeichen.

Einen Antrag auf Erteilung eines A...



Zugegeben, ich war etwas aus der Übung gekommen, was die Beantragung von mehrtägigen Auswärtsfortbildungen angeht, aber dass sich das sooo zieht, dass das sooo viele Formulare, Bewilligungen, Unterschriften, Zifferncodes, Anträge braucht, war mir entfallen. Und was man nicht alles dabei falsch machen kann ... Nettes Hobby, welchem ich da die letzten Tage gefrönt habe.

Fertig? Irrtum! Gerade in der letzten Bestätigungsmail (so eine "Bitte antworten Sie nicht auf diese Mail"-Mail) entdecke ich meine fatale Unfähigkeit: Das Abendessen für Donnerstag ist nicht angekreuzt. Upps. (Das kann doch aber nicht so schwer sein, Frau Rebis?!)

Ich geh' dann mal telefonieren. Vielleicht nimmt die Landesakademie meinen "Antrag auf Erteilung eines Abendessens" auch fernmündlich entgegen.

Korrekturdemenz

4 Teller, 4 Messer, 4 Gabeln zwei Stockwerke nach oben tragen, die Papiere auf dem Schreibtisch sorgfältig beiseite räumen und grübelnd vor dem Tisch stehen: wer sitzt doch gleich an welchem Platz???

Uaahh!
(Ich trag' jetzt das Zeug wieder runter, und nach dem Essen brauch' ich wohl 'ne Pause ...)

Montag, 18. Januar 2010

Zufrüh-Frühling

Letzte Woche traf mich schon ein Streif davon. Der einzige 10-Minuten-Strahl Sonne, den es in letzter Zeit gab, schien mir ins Gesicht, weil ich zufällig an einem großen Südfenster saß. Da wurde mir das Gesicht warm, da blendete es auf typische Vorfrühlingsweise – die tiefstehende Sonne traf das sonnenentwöhnte Auge, da waren Füße und Rücken kalt. Und als die Sonne wieder im Grau verschwand, fröstelte mein Gesicht.
Er brachte mich ganz aus dem Konzept, dieser verfrühte Frühlingsstreif. Ich schaute mich unruhig im Raum um, wusste gar nicht richtig, was Ungewöhnliches geschehen war.

Heute ein zweiter, stärkerer Hauch. Die Nachmittagssonne auf von Schneeresten gesprenkelter Straße, die Luft anders sich anfühlend als in letzter Zeit. Und ich mittendrin, stehe mit meiner Wäsche im Garten, hänge sie auf und bin fast froh, wieder ins schützende Haus flüchten zu können.
Ich bin irritiert.

Nein, es ist noch zu früh!
Es ist noch keine Frühlingszeit – wir haben Januar!
Januar – benannt nach dem römischen Gott Janus, dem Hüter der Türen und Übergänge aller Art, dem Gott allen Anfangs und Eingangs.

Jetzt ist die Zeit, in der sich die Kräfte des Lebens im Innern erneuern, in der die Samen des Künftigen unter schützendem Schnee wachsen können, während das äußere Leben zu einem scheinbaren Stillstand gekommen ist.
Vor dem Frühlingserwachen müssen wir Geduld aufbringen – so wie der Keim in der Stille und Dunkelheit der Erde den richtigen Zeitpunkt abwartet. Wir können es der Natur abschauen: die Zeit der erzwungenen Ruhe, des Rückzugs nutzen, um zu uns selbst zu finden, zu spüren was wir brauchen, um die künftige Richtung unseres Weges zu ertasten. Erst wenn im Innern echte Veränderung, Heilung und Wandlung geschehen durfte, sind die Lebenskräfte wieder reif dafür, aktiv und handelnd tätig zu werden.

Nein, alles in mir wehrt sich gegen dieses frühe Erwachen. (Auch wenn ich dafür seltsam angeschaut werde.) Man gebe sich nicht einer zu früh aufflammenden Hoffnung, einem zu früh aufflackernden Licht hin – ich bin noch nicht reif für den Frühling.

Und ich lese:

Und deucht dieWelt dir öd und leer.
Und sind die Tage rau und schwer.
Sei still und habe des Wandels acht:
Es wächst viel Brot in der Winternacht.

(Friedrich Wilhelm Weber)

Sonntag, 17. Januar 2010

zweiLeben-Sonntag

Sonntagmorgen – Einsamkeit. Ich mit mir allein.
Mein Schlaf wurde von einem Tagtraum beendet. Nun sitze ich vor dem großen Fenster. Stille im Haus.
Grauweißes Himmels-Hell, wohlig auf der Heizung ausgestreckte Füße, aufweckender Duft von Kaffee, dazu gesellt sich leises Regenklopfen.
Im Sandkasten schauen aus der Schneedecke erste bunte Spielzeugspitzen hervor. Auf dem Bobbycar verwandelt sich ein sanftweich-weißer Berg Tropfen für Tropfen in einen kleinen Sitzmulden-See.
Vom Dach ergießt sich eine Lawine mit Getöse auf einen Strauch. Dieser wird gebeugt (oder: verneigt sich?), richtet sich alsbald wieder auf.
Im Schnee Spuren einer Vogelwanderung. Kreuz und quer, ohne Ziel, könnte man meinen - doch wer will das wissen? Und warum lief der Vogel vor dem Rosenbeet so aufgebracht hin und her? Was sah er, was ich nicht sehe?
Mein Buch bleibt geschlossen. Augen und Seele geöffnet.
Stille. Allein.
Ich bin ganz im Hier und trinke das wunderbare Jetzt.
.
.
.
Die Nachbarn sind erwacht. Die ersten machen sich auf den Weg zum Bäcker.
Oben im Haus Schritte ...
.
.
.
Zwei Stunden später.
Den ersten Kinderstreit geschlichtet: Welches Tier da wohl im Garten umhergelaufen war?
Die Spuren des gestrigen Besuchs in Küche und Essecke beseitigt.
Das Frühstück gefrühstückt.
Die Kinder angezogen.
Den heutigen Tag mit einem Fahrplan versehen.
Den Rotstift gespitzt. (Die Fahrpläne dieser Tage sind arg eindimensional.)

So sitze ich zwei Stunden später am Schreibtisch.
Das Geheimnis meiner Morgenstunde scheint verschwunden, aufgelöst, wie nicht gewesen.
Der Alltag – ein anderes Leben? – ist wieder um mich, mit allem, was drängt, zieht, treibt.
Wie dankbar bin ich um die Stunde am Morgen!

Es gibt diese zweiLeben-Tage (heute war ein solcher),
an denen es sich zerrissen anfühlt,
weil die Wachheit des Seins im Hier und Jetzt allzu schnell von einem Alltagsleben abgelöst wird, welches getränkt ist von der Sehnsucht nach erneuter Wachheit, nach dem Wunder des Jetzt-Trinkens.

Aber manchmal – und immer unerwartet – gibt es einLeben-Tage,
an denen ich keinerlei Entweder-Oder-Riss zwischen parallelen Welten spüre,
an denen es keinen Gegensatz von zweierlei Leben gibt,
an denen ich keinen Spagat vollbringen muss.

Weil ich an solchen Tagen
mit jeder Faser meines Körpers die Wachheit spüre,
mit jedem Handgriff ein Stück Ewigkeit berühre,
mit jedem Atemzug einen Hauch wahrer Weite inhaliere.

Weil an solchen Tagen
eine jede Sekunde durchdrungen ist von heiliger Seins-Stille,
ein jedes Tun zur schweigenden Seins-Andacht wird.

Weil mir an solchen Tagen eine leise Ahnung fließt,
dass das Eine und das Andere ein allumfassendes Ganzes sind,
in welchem alles seinen Platz hat,
in welchem mein Ich – ja, wo? – in mir? im Leben? im Sein? im Ganzen? aufgehoben ist.

Wie dankbar bin ich um diese einLeben-Tage!
Oh ja, es gibt sie.

Samstag, 16. Januar 2010

Die Altklug-Tochter

Vorhin.
Einer der - mittlerweile seltenen! - kleinen "Unfälle" zwingt die Tochter zum kompletten Kleiderwechsel. Sie versucht gerade, die Strumpfhose zu bezwingen, leicht ungeduldig werdend, da bietet der Papa an, dass sie zu ihm ins Bett kommen könne: Mittagsschlaf, vorher Vorlesen.

Sie zu mir: "Mama, darf ich ohne Strumpfhose?"
Ich: "Nein, das ist zu kalt."
Sie (ganz ernst): "Das hab' ich mir auch schon gedacht."

(Und macht sich weiter geduldig an ihrer Strumpfhose zu schaffen ...)

Damals schon wie heute ...

"Für jene, die andere unterrichten, braucht es eine besondere Aufmerksamkeit, um jeden Einzelnen zu kennen und ihm gerecht zu werden und um unterscheiden zu können, welche Art und Weise der Begleitung ihm hilfreich sein kann: Die einen brauchen mehr Entgegenkommen und Weichheit und andere eher Entschiedenheit und wohlwollende Härte; einige brauchen mehr Geduld und Verständnis; für die Entwicklung anderer ist es wichtig, sie herauszufordern und zu konfrontieren; wieder andere, die sich verlieren und zerrissen sind, brauchen enge Grenzen, um aus ihren Fehlern lernen zu können. Diese Begleitung lebt vom Erkennen der Eigenart jedes Menschen und von der Unterscheidung der Geister. Bittet Gott immer wieder um diese Grundhaltung, um diese Qualität, unterscheiden zu können; sie ist im Begleiten von größter Notwendigkeit."

(Jean-Baptiste de La Salle, 1651-1719)

Sic.
Warum auch sollte es früher anders gewesen sein ...

Freitag, 15. Januar 2010

... reich ...

"Ein Mensch ist um so reicher, je mehr Dinge zu entbehren er sich leisten kann."

(Henry Thoreau, Fundstück an meinem Freitag-Leseabend)

Donnerstag, 14. Januar 2010

"Die Kunst des Ausruhens ...

... ist ein Teil der Kunst des Arbeitens."

Ja, der John Steinbeck hatte gut reden, war ja vermutlich freischaffend. Aber wie soll unsereins das hinbekommen?

Jetzt gerade - zur Stunde - läuft mein korrekturfreier Abend. Heute die letzte der "Altlasten"-Arbeiten zurückgegeben, schreibe ich morgen die nächste. Jetzt, kurz vor Mitternacht, bin ich auch schon (;-)) fertig mit meinem Schulzeugs für morgen.

Nun also nix wie ausgeruht!

Denn ab morgen muss ich ja schon wieder korrigieren,
bevor ab Montag das nächste Zeug,
bevor alle 150 Zensuren,
bevor nächste Woche eine 2-Tages-Fortbildung,
bevor übernächste Woche große Anteile bei einer schulinternen Fortbildung,
bevor Nachmittage voller Notenkonferenzen,
bevor alle alle Zeugnisse,
bevor noch der Känguru-Wettbewerb,
bevor der Elternsprechtag,
bevor die nächste Oberstufenklausur,
bevor die drei 1-Tages-Fortbildungen in einer Woche
zu besuchen - zu erstellen - zu absolvieren - zu organisieren - zu schreiben - durchzustehen - zu übernehmen - zu besuchen - einzutragen - zu korrigieren ist/sind ...

Gute Voraussetzungen, um immer wieder intensive und intensivste Phasen des Ausruhens einzubauen?!?!

Jetzt zum Beispiel: Jetzt gehe ich nämlich schlafen. Einfach so, nur zum Ausruhen.
Gute Nacht!


(PS: Und schon komme ich mir blöd vor, weil ich hier über meine viele Arbeit jammere. Ich mach sie ja gern, will mich nicht wirklich beklagen. Bloß in so Stoßzeiten, da fühle ich mich manchmal überfordert und erschöpft, da würde ich gern mal innehalten und nicht wie ein Hamster im Rad endlos laufen-laufen-laufen ohne Luft holen zu können.)

Mittwoch, 13. Januar 2010

seltsam watteweich

Seltsames Gefühl das.
Nicht ganz ich, nicht ganz nicht-ich.
Nicht ganz hier, nicht ganz nicht-hier.
So stand ich heute vor meinen Klassen.

Immer nach den Ferien muss ich das Sein in meiner Rolle ein wenig neu erlernen. Heute war es seltsamer als üblich. Ein watteweich-Gefühl, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll.

Watteweiche Stimme, kein Kern, keine Resonanz in mir, kein Hell im Klang, kein in den Raum strömender Ton, keine Resonanz in den Schülern, nur watteweich gedämpftes Zähefließen.

Watteweiche Gedanken, kein Echo auf Schülerworte in mir, keine schlagfertigen, spritzigen Reaktionen wie sonst, kein klarer Gang durch das, was ich heute „Unterricht“ zu nennen kaum wage, nur Verirrungen in meinen eigenen Kopfwegen, nur gedämpft watteweiches Trägefließen.

Watteweiches Gefühl, dort und nicht-dort zu stehen.
Bin ich in mir? Bin ich neben mir?
Wie sähe ich aus, wie hörte ich mich an, wenn ich mich neben mich stellte?
Und ich stand ja wie neben mir. Und dachte nur: "Seltsam, bist das du?"

Neugierig wäre ich auf den Spiegel, den blank geputzten Spiegel der Schüler.
Was war Frau Rebis heute für eine?“ – Wenn sie nur nicht so fein wären, meine Schüler, könnte ich dort vielleicht eine Antwort bekommen. Eine Antwort auf die Frage, wo ich heute war, wie ich heute war, wer ich heute war.

Denn ich selbst, ich weiß so gar nicht, was das sollte, dieses.
Ich wundere mich ...
(... am meisten darüber, dass ich mir das Wattesein zugestanden habe ...)

Dienstag, 12. Januar 2010

Hm.

Wenn ich die Physikarbeit des Sohnes des Religionslehrers meines Sohnes zu korrigieren habe und weiß, dass dieser Religionslehrer auf meinen Sohn ohnehin nicht gut zu sprechen ist, dann ist das - hm - schwierig.

Montag, 11. Januar 2010

Schnee-Stille-Gedanken

Man mag über den Daisy-Hype denken wie man will – Tatsache ist, dasss wir hier, jedenfalls in meiner Gegend, äußerst selten Schnee in diesen Mengen erfahren dürfen. Das merke ich in diesen Tagen von früh bis spät.


Da ist die Frage in mir, ob unser Auto wohl auf einem schneebedeckten Parkplatz aus der ungeräumten, abschüssigen Parklücke den Weg hinaus finden wird. Nicht Angst oder Panik gar, nein, einfach nur die Frage, ob die Reifen mit dem Autochen drauf für sowas gebaut sind. Noch nie nämlich bin ich mit diesem Auto in vergleichbarer Situation aus einer Parklücke herausgefahren, fällt mir bei der Gelegenheit auf. In den letzten vier Jahren also hatten wir solchen Schnee hier nicht.
(Die Antwort heißt übrigens: Ja, es geht. Sogar ganz einfach. Rutschende Reifen - was ist das? Interessant, ich wusste es einfach nicht.)

***

Da ist das ganz neue Gefühl, mit dem Auto in tanzenden Schnee hineinzufahren. Die Flocken fliegen auf mich zu, strahlen mich an (oder geben mir nur das Scheinwerferlicht zurück, nüchtern betrachtet), tanzen vor der Scheibe, entscheiden sich erst im letzten Moment für einen Weg – oben drüber, rechts oder links vorbei oder schnell nach unten – nur die wenigsten haben den Mut, auf ihrem Weg zu bleiben (und damit bei mir auf der Scheibe zu landen). Ich könnte diesem Tanz stundenlang zuschauen. Muss aufpassen, nicht das Lenken dabei zu vergessen.

***

Da gibt es ganz neue Hausaufgaben für die Kinder.Weil heute erster Schultag war, oder wirklich, weil das Ereignis ein so besonderes ist: Die Lehrerin meines Sohnes erteilte heute als einzige Hausaufgabe: „Spielt im Schnee.“

***

Da wird der spätnachmittägliche Saunabesuch mit den Kindern für uns alle zu einem besonderen Erlebnis. Wir stapfen nach jedem Gang barfuß in den Schnee, reiben uns damit ab (in der blickgeschützten Ecke des Gartens natürlich ;-)). Der erfahrenste Saunierer unter uns legt sich sogar nackt in den Schnee hinein, von oben bis unten. Das geht mir denn doch zu weit (*schüttel*). Unser kleiner Mann will es nachmachen, schreckt dann aber zurück vor seiner eigenen Courage. Das Tochterkind setzt gerade die große Zehe in den Schnee, das reicht ihr, genießt aber im Übrigen das nackte Umherlaufen in der weißen Landschaft am meisten (in Latschen dann eben). Mir selbst frieren fast die Füße ab, aber es ist unglaublich: barfuß im Schnee.

***

Und heute morgen schon, da erfahre ich die verzaubernde Stillekraft des Weiß auf sehr nachdenklich stimmende Weise. Wir sind spät dran. Normalerweise würde ich meine Tochter auf den Arm nehmen und im Dauerlauf vom Auto zum Kindergarten rennen, um dann selbst pünktlich in die Schule zu kommen. Heute morgen in diesem Weiß, da ist mir nicht danach, da ist es mir egal um meine Pünktlichkeit, da will ich nur mit ihr zusammen unseren leisen Schritten, diesem ungewohnten Geräusch der Schneetritte lauschen, da laufen wir ganz gemächlich zu Fuß.
Wie immer um diese Zeit – kurz nach sieben – sieht man in der Wohnung über dem Kindergarten den buntflackernden Fernseher. Immer schon empfinde ich Fernseher, wenn ich sie am frühen Morgen aus fremden Fenstern laufen sehe, als traurig. Heute – inmitten dieser Schneestille – kann ich diesen Anblick kaum ertragen.
Weil es mich an die Zeiten erinnert, in denen ich geflüchtet bin - flüchten musste vor mir selbst, in bunte Bilder und Geräusche hinein, um mich selbst nicht zu spüren. Obwohl ich das selten mit einem Fernseher tat - irgendwie rührt dieser Kontrast zwischen weißer Schneestille und flackerndem Fernsehlicht an meine Erinnerungen, sticht mich mitten ins Herz hinein … und doch ist da rings um mich dies verzaubernde Weiß, was diesen Stich sofort wieder zu dämpfen vermag.

***

Wundersamer Schnee.

Erinnerungsmomente

Ein Tag voll mit kurzen Gedankenreisen in die Vergangenheit.


Die erste: vergebens. Noch nie nämlich, seit wir hier wohnen, konnten wir unsere Kinder auf dem Schlitten über die Felder ziehen. Noch nie. Das war ein ganz besonderer Ausflug heute.


Noch nie (oder: lang lang ist's her) sahen wir unsere Landschaft in diesem stillen Gewand.


Noch nie bot unser Dorf einen solch weißen Anblick.


Der Blick durch die kahlen Bäume auf ein altes Gemäuer, aus dem unsichtbar Musik ertönt, lässt meine Gedanken in jenen Tag reisen, der doch noch keine zwei Monate her ist, irgendwie ...


Und hier scheinen mir noch die violetten Blumen am Wegesrand zu stehen, deren Namen ich vergessen habe. Auch das ist noch kein halbes Jahr her, oder?


Und irgendwie landet unser Weg-Gespräch bei der Mütze der Tochter und ihrer Geschichte. Ich erzähle, wann und wo ich sie vor über 5 Jahren gekauft habe - in Berlin, an besonderem Orte, mit besonderem Besuch. Für den Sohn natürlich.
Die Tochter: "Und wo war ich da?" Ich sage: "Du warst noch nicht bei uns." Das beschäftigt sie sehr. "Da gab es mich noch nicht, als es die Mütze schon gab." - für sie unvorstellbar. Für mich auch.


Der Tag endet mit einem weiteren Rückblick. Als wir abends - ohne Kinder schon - einen Film, eine DVD schauen (ein äußerst seltenes Ereignis in unserem fernsehfreien Haushalt), erinnern wir uns, genau heute vor 10 Jahren im Kino gewesen zu sein, in Berlin. Es war in meinem ersten Referendariatsmonat, ich litt unter der Umstellung vom freien Studentenleben zum "geregelten" Berufsalltag. An jenem Tag wählten wir dennoch die Spätvorstellung, weil wir unbedingt diesen einen Film schauen wollten. Auch wenn am nächsten Morgen der Wecker klingelte.
Es ist mir eindrücklich in Erinnerung geblieben: außer uns waren anscheinend nur Studenten im Kino, ich fühlte mich wie verloren mitten darin. Im Groll über meine verlorene Freiheit konnte ich beim Anblick all dieser abendlichen Sorglosigkeit nur boshaft denken: "Was wisst ihr denn schon vom Leben ..." - Denn: wer so spät abends noch ins Kino geht, der kann in der Lebensrealität noch nicht angekommen sein - das waren meine Empfindungen.
Mir raubte der Gedanke an den Wecker fast den Atem, verkörperte er doch das mir nun bevorstehende stete Gebundensein an äußerliche Notwendigkeiten. Mir ging es schlecht, damals. Ich brauchte lange, um "anzukommen" im neuen Lebenszustand.

Heute musste ich schmunzeln, als ich mich an diesen Kinobesuch mit allem, was er in mir auslöste, erinnerte. Wie anders geht es mir heute. Natürlich werde ich morgen (äm: nachher :)) nicht juchzen, wenn der Wecker um 5.30 läutet. Aber da ist kein Groll, keine Bitterkeit dabei. Es liegt mir nicht wie ein Stein im Magen, morgen früh wieder starten zu müssen.
Es ist einfach nur verdammt früh. Aber sonst wird er gut sein, der morgige Tag.