Donnerstag, 14. Oktober 2010

Zaungast, ungewollt

Zu klein ist meine Schule, wir brauchen „Leihräume“ der benachbarten Grundschule. Der Schule meines Sohnes also. Und so kommen wir uns vormittags, wenn seine und meine Wege eigentlich getrennte sein sollten, ungewollt und ungewohnt nahe. Das fühlt sich nicht richtig an, aber ich habe keine Wahl.
(Und es mag eine gute Vorbereitung darauf sein, dass wir in zwei Jahren vermutlich täglich unsere Schulflure teilen werden.)

Hat er erstmal mitbekommen, wann ich in „seinem“ Haus bin, steht regelmäßig seine halbe Klasse vor unseren vollflächigen Fenstern, winkend, oder mit Schaudarbietungen auftretend :)
Wir haben versetzte Pausenzeiten – das stört meinen Unterricht eine halbe Stunde lang – gut zureden half nichts – ich musste tatsächlich schon die Grundschulhofpausenaufsicht einschalten, damit sie die Kinder dort wegschickt.

In diesem Schuljahr weiß der Sohn noch nichts von meinem Mittwochsintermezzo in seinem Haus. Gestern sehe ich ihn erstmals mit seinen Freunden vor unseren Fenstern, sie bemerken uns nicht.
Ich versuche mich auf meinen Unterricht zu konzentrieren.
Draußen Kinderspiele, Lachen, Gespräche, Toben.
Ich versuche mich auf meinen Unterricht zu konzentrieren.
Draußen ein kleiner Streit, ein Mädchen läuft weg, weinend, sich den Bauch haltend.
"Oh, M., Deine Schwester, schau", entfährt es mir (ja, die Schwester der Sohnesfreundin sitzt in meinem Kurs).
Ich versuche immer noch mich auf meinen Unterricht zu konzentrieren.
Hinter dem weinenden Mädchen her rennt mein Sohn. Ruft ihr etwas zu, versucht sie zu erreichen, anzuhalten.
Ich versuche nach Kräften mich auf meinen Unterricht zu konzentrieren.
Er scheint beteiligt zu sein daran, dass sie sich den Bauch hält.
Ich gebe auf, mit meiner Konzentration ist es vorbei.
"Oh nein, war das er? Was hat er gemacht?" entfährt es mir halblaut, vor meinen Schülern. Ich kann nicht mehr wegschauen. (Die Schüler jetzt auch nicht mehr.)
Unser Unterricht pausiert, bin aus meiner Rolle geworfen. Schaue als Mutter hinaus, die Lehrerin-Rolle vergessend für den Moment, kann Blick und Sorge nicht abwenden. Teile meine Gedanken laut mit - und habe keine Ahnung, was meine Schüler damit machen.
Die Kleinen draußen kreisen weiter, mein Sohn holt das Mädchen ein, andere schlichten, sie reden, gestikulieren, schreien zuweilen. Sprechen, vertragen sich, lachen schließlich, auch M.s Schwester.
Puh.
Ich versuche mich wieder auf meinen Unterricht zu konzentrieren.
"Ok, gut, bei denen ist wieder alles in Ordnung, machen wir mal hier weiter. Der Abstand eines Punktes zu einer Ebene ..."

Als ich nachmittags nach Hause komme:
"Wie war‘s in der Schule?" - "Nix Besonderes."
Von meinem ungewollten Zaungasterlebnis sage ich nichts

Oh je, ich mag nicht inkognito hineinschauen in das Leben meines Sohnes. Das tut nicht gut, das fühlt sich wie erschlichene Intimität an.
Manchmal ist es besser, nicht so genau zu wissen, welche Wege er in seinen eigenen Räumen ausprobiert. Ihm diese Räume ganz und gar zu überlassen. Er wird das schon machen, dort, bei sich.
Reden darüber: ja. Seine Gedanken aufgreifen: ja. Seine Sorgen wahrnehmen: ja. Seine Fragen beantworten: ja. Ihm auch gelegentlich Fragen stellen, in der Hoffnung auf Antwort: ja. Für ihn dasein, sollte er stolpern und Hilfe brauchen: ja. Dann auch hineingehen, in seinen Raum, wenn er mich hineinholt. Aber als spionierender Zaungast habe ich dort nichts zu suchen.

Doch jetzt bei der Gemeinde Milchglasfenster für dieses Klassenzimmer zu beantragen - ich glaube der Antrag ginge nicht durch :) Dem Sohn meinen Mittwochsunterrichtsort mitzuteilen – hm – dann bekommen wir sicher wieder Schaudarbietungen …
Ich weiß noch nicht.
Mal schauen: nächsten Mittwoch wieder.

2 Kommentare:

  1. ein paar jahre waren mein ältester und ich an der gleichen schule. das war schön. endlich konnte ich die eltern verstehen, die bei gesprächen immer meinten, ihr kind sei daheim GANZ anders als in der schule. genau. einmal sah ich beim klasse wechseln in einen raum, und traute meinen augen kaum: vor der klasse machte mein sonst SO ruhiger sohn diesen schrägen otto walkes gang nach...ich ging weiter, habe auch nie was dazu gesagt...

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  2. Du meinst, es muss gar nicht so schlimm werden, wenn wir zusammen an der Schule sind?
    Ich stelle es mir halt unangenehm vor, wenn ich immer umgehend und sofort darüber im Bilde bin, wenn er etwas "verbockt" hat. Sag, hast Du das dann immer für Dich behalten, oder hat sich Dein Sohn dran gewöhnt, dass Du alles aus erster Hand weißt, oder hat er am Ende gar nie was verbockt, Dein Großer ;-)?
    Und konntest Du ungerührt weiter in Deinen Unterricht gehen, wenn Du ihn durch den Türspalt hast herumbolzen sehen? Oder er hat auch das nicht gemacht ...
    Du siehst, ich bin noch etwas vorstellungslos, wie sich das dann anfühlen wird. Wir werden sehen ...

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