Freitag, 11. Dezember 2009

dürfen

Ich durfte gestern ...

... morgens beim Aufwachen meine Lieben gesund in den Arm nehmen,
... Willkommensgeschenke für gleich zwei sehnlichst erwartete Kinder auf den Weg schicken,
... Karten an Freunde schreiben und ihnen sagen, wie sehr wir sie hier vermissen und wie sehr wir hoffen, dass uns unsere (äußeren) Wege im nächsten Jahr wieder berühren werden,
... ein Patenkind zum Lebkuchenhausbau einladen und dem anderen, welches leider zu weit wohnt, ein Lebkuchenhaus-Bausatz-Päckchen schicken,
... mittags, in meiner Pause, am Flüsschen entlang in den Ort laufen und dabei einen winzigen Strahl Sonne auf der Haut spüren,
... mir einen neuen Füller kaufen (den alten hatte die Tochter benutzt, letztmals) und mich darauf freuen, damit Gedanken auf Papier bringen zu dürfen,
... dem Sohn ein neues Heft kaufen, in welches ihm sein Religionslehrer Texte diktieren wird, über die wir dann zu Hause sprechen werden,
... zweimal eine Stunde lang meine Schüler beobachten, wie sie sich der Physikarbeit widmen, und mich mittendrin auf die x-te Frage, wieviel Punktabzug der fehlende i-Punkt kosten wird, sagen hören, dass sie doch bitte ganz beruhigt arbeiten sollten, so gut es eben ginge, und ich dann auch so gut es ginge korrigieren würde (für meinen Gedanken, dass sie die Physikarbeit schreiben dürfen, war es dann doch nicht der rechte Zeitpunkt),
... Hunderte von Schülern aus dem Foyer auf den Hof schicken, mit einem Lächeln und dem Hinweis, wie schön es doch draußen in der Sonne wäre,
... von mir fremden Schülern im Schulhaus freundlich gegrüßt werden (woher kennen die mich? - vielleicht weil ich sie letzte Woche eben mit diesem Lächeln auf den Hof gejagt habe?),
... mit Kollegen viele kleine Gespräche führen, über die Verordnung zum Abitur 2013, und über den verzweifelten Schüler mit dem krebskranken Vater,
... bei all dem den Regen gegen die Scheiben trommeln hören,
... mit meinen Kindern zu Hause ein wunderbares Geschenk auspacken, welches das Auf und Ab und immer Licht zeigen wird,
... anschließend mit strahlenden Kinder-Augen und (ob der Schokoladenspritzer am Boden) nachsichtigen Mutter-Augen Plätzchen verzieren,
... eine ganz besonders lange Geschichte vorlesen,
... auf einem Abendspaziergang die kalte dunkle Winterluft einatmen,
... abends beim Schlafengehen meine Lieben gesund in den Arm nehmen.

Ein ganz normaler Tag.
Jedenfalls: Vor einer Woche hätte ich es einen ganz normalen Tag genannt. Wenn nicht sogar einen langen, anstrengenden, übervollen Tag.

Gestern war es mir ein ganz unnormaler Tag.
Ein Tag voller Geschenke, voller Dankbarkeit, voller Wachheit. Voller Wesentlichkeit.

Und doch: So sollten unsere normalen Tage aussehen.
Einen jeden Moment als wesentlich, als Geschenk sehen ...


Ich darf diese Geschenke nicht
übersehen
verschwenden
geringschätzen
in Lasten verwandeln
unbeachtet liegen lassen
banale Alltagsdinge schimpfen
sie erst später auspacken wollen
sie beim hektischen Laufen zertreten
durch gedankliches Weitweg-Sein entwürdigen
in große Worte, große Gedanken, große Taten verwandeln wollen
durch Unaufmerksamkeit zerfließen lassen
in mechanischem Tun ersticken
in Bequemlichkeiten verlieren
in Vergnügungen zerstören
...


Wesentlich ist, was mir jeder einzelne Tag an Momenten schenkt.
Geschenk ist, was ich mir zu einem solchen mache.
Inmitten dieser Geschenke darf ich leben ...
Das ist das wesentliche Leben ...


Dann werde ich die Zeit, die mir gegeben ist, als eine nicht zu kurze empfinden dürfen.
Dann werde ich an meinem letzten Erdentage sagen dürfen:
"Herr, es war gut."
Und sei es schon morgen ...

2 Kommentare:

  1. En sehr schöner wahrer (zumindest der letzte Teil) Text.
    Ich weiß wieder einmal, warum ich so gerne bei Dir lese.
    Danke für diese Anregung!

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  2. liebe "gedankendiebin" :)),

    genau das ist die antwort!!
    und wir haben arbeit vor uns, jeden tag so erleben zu können, wie du diesen.
    danke dir!!

    heike

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