Sonntag, 19. Juli 2009

Berlin-Nachlese I: Geschichtsträchtig

Das Ziel unserer Berlin-Klassenreise ist „politisch-historische Bildung“; das sagt unser Schulprogramm. Und so eröffnet sich den Schülern nicht nur der Blick in den Bundestag,




sondern auch in die letzten hundert Jahre deutscher Geschichte mit all ihren Gräueln und Schrecken: … Jüdisches Museum … – … Holocaust-Mahnmal … – … Luftschutzbunker … – … Mauer-Gedenkstätte … – … Staasi-Gefängnis …






Für die Schüler ist das eine ferne, eine fremde Welt. Klar, sie haben Geschichtsunterricht – aber das ist eben Geschichte, das waren für sie bisher Geschichten, sozusagen.

Jetzt aber prallt es auf sie ein:
…. musste mit ansehen, wie seine Frau mit den Kindern ins Gas ging … – … da schellte es morgens an der Tür … – … 20 km im Umkreis des Einschlagpunktes der gesamte Erdboden geschmolzen … – … und plötzlich war die Straße mitten entzwei geteilt, da stand das eine Haus auf der einen Seite, das Nachbarhaus auf der anderen Seite … – … nach 3 bis 4 Stunden wurde hier die Luft knapp, CO2 sammelte sich am Boden, Mütter mussten ihre Kinder auf den Arm nehmen, damit sie nicht ersticken … – … die Kirche wurde 1985 gesprengt … – … und in dieser Isolierzelle war man bis zu zwei Wochen, es drang kein Laut, kein Licht hinein …

Ich schaue sie an, meine Schüler, als man ihnen dieses erzählt. Ihren Gesichtern ist kaum anzusehen, was es auslöst.
Manche wirken gelangweilt, stöhnen (vor Hitze, oder sogar vor Langeweile?), fragen wann endlich Pause sei.
Manche stellen - immerhin - ab und zu Zwischenfragen.
Und manche sehen erstaunt, sogar erschüttert aus. Sie kommentieren das Gehörte mit einem "ist ja krass!“ Aber dann ist es wieder „gut“, dann leben sie wieder ihr junges, unverbrauchtes Leben, bis zum nächsten kurzen „ist ja krass“.

Mit diesen Reaktionen kann ich schlecht umgehen. Mir kommen zweifelnde Fragen:
Warum bringen wir die Schüler überhaupt hierher?
Soll man ihnen von der Historie erzählen?
Wie aber kann man davon erzählen, dass es in sie hinein dringt? Und ohne den Zeigefinger zu erheben?
Zum Glück bin ich nicht Geschichtslehrerin ...

Dann aber gibt es den Moment des Innehaltens. Wenn wir, nach Ende der Führung, im Schatten sitzend, die nächsten Programmpunkte absprechen. Und ich sie ganz vorsichtig frage, wie das soeben Gehörte wohl auf sie wirkte. Da werden sie ganz still, plötzlich. Also doch.
Fast bin ich froh, ihre Erschütterung zu spüren. Froh, mich getäuscht zu haben, vorhin, ihre Reaktion falsch interpretiert zu haben.
Der bosnische Schüler erzählt von seinem Zuhause. Die türkische Schülerin erzählt von ihrem Zuhause. Die anderen äußern Erschütterung, gerade weil sie die Bilder nicht mit ihrem Zuhause in Verbindung bringen können. (Wie gut, dass sie das nicht können!)
Die eben noch laut-fröhlich herumalbernden Mädchen erzählen ganz leise von ihrer Wut. Die sonst ewig kickenden Jungen nicken nachdenklich. Einig sind sie sich darin, dass der Zeitzeuge im Staasi-Gefängnis, der sie offen als "verwöhnte Wohlstandskinder" bezeichnet hatte, dass dieser damit Recht hatte. (Nur ich war bei dieser Bemerkung zusammengezuckt.)

Und in dem Moment werde ich ganz klein. Merke, dass sie doch alles verstehen, dass sie mit ihren Ohren und Herzen zugehört haben. Dass sie sich geöffnet haben für das Gehörte.

Nur: Sie zeigen es nicht. Nicht uns Erwachsenen, oder eben nicht auf erwachsene Weise.

Schade, denke ich, schade, dass ich nicht Geschichtslehrerin bin. Dann dürfte ich meine Schüler häufiger in ihrem wirklichen Erleben erleben.

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